Meldung

Ansprache von OB Dr. Klaus Zeh zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober2012

Mittwoch, 03. Oktober 2012, 17:30 Uhr
"Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass ich Sie alle ganz herzlich in unserem Theater zu unserem jährlichen Festakt anlässlich des Tages der Deutschen Einheit begrüßen darf. Ich tue das sehr gern und es ist mir eine besondere Ehre.

Auch in diesem Jahr werden wir wieder in guter Tradition diejenigen ehren, die sich in dieser Stadt in besonderer Weise für das Gemeinwohl engagieren. Sie tun es in der Regel meist still und ohne nach Geld zu fragen. An diesem Abend wollen wir Sie ins Rampenlicht holen. Wir wollen Ihnen „Danke“ sagen aus ganzem Herzen und im Namen der Menschen dieser Stadt, auch dass Sie ihren Dienst niemals auch nur im Entferntesten dafür getan hätten.

Ganz besonders herzlich begrüße ich zu unserer heutigen Feier unsere Gäste aus Bingen: Zum einen meinen Amtskollegen Herrn Feser – seien Sie herzlich willkommen, zum anderen die jungen Musikschülerinnen und Musikschüler der dortigen Kreismusikschule, die gemeinsam mit den Nordhäuser Musikschülern und jungen Künstlern aus dem Kyffhäuserkreis für die kulturelle Bereicherung und Umrahmung unseres Festakts sorgen.
Mit Bingen am Rhein verbindet uns mehr, als man denkt! Bingen ist eine große kreisangehörige Stadt wie Nordhausen, deshalb darf sich das Stadtoberhaupt auch Oberbürgermeister nennen, Bingen war 2008 Landesgartenschaustadt wie Nordhausen 2004, Bingen hat ebenfalls eine Fachhochschule und ‚last but not least‘: Bernhard Vogel war Ihr Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und er war es auch bei uns in Thüringen. Uns fehlt zwar der Rhein, da ist unsere Zorge noch entwicklungsfähig. Und Weinpflanzen könnten vielleicht auch irgendwann bei uns heimisch werden, die Berge dafür haben wir schon!
Dass die Musikschüler heute Abend gemeinsam auf der Bühne stehen, hat seinen Grund in einem Musikprojekt, das vor einem Jahr begonnen wurde. Schön, dass Ihr bei uns seid. Schön, dass Ihr auch gemeinsam musiziert. Wir freuen uns auf Euren Auftritt!
22 Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung: Es wäre zu diesem Zeitpunkt von der 40-jährigen Geschichte der DDR schon mehr als die Hälfte verstrichen. Es erlaubt mit Abstand manch klareren Blick!
Da ich heute das erste Mal an einem 3.Oktober hier stehe, erlaube ich mir, mit meinen sehr persönlichen Empfindungen zum Festtag zu beginnen:
Trotz des Abstandes von 22 Jahren ist für mich der 3.Oktober als Tag der Deutschen immer noch, auch neben allen Umbrüchen und Verwerfungen in diesem Land, ein ganz besonderer Tag. Ich hätte in meinen kühnsten Träumen bis zu meinem 36.Geburtstag 1988 nicht zu hoffen gewagt, dass ich ihn jemals erleben würde. Eine solche Prophezeiung hätte ich damals nicht einmal kabarettistisch ertragen, so bitter und sarkastisch hätte ich das empfunden.
1989 mit 37 Jahren befanden wir uns bereits mitten in der friedlichen Revolution und mit knapp 38 Jahren hatten wir 1990 die Wiedervereinigung errungen. Dichter kann eine geschichtliche Epoche kaum ablaufen, friedlicher und ohne dass ein Schuss gefallen war auch nicht. Wir Deutsche können stolz darauf sein! Wir Ostdeutsche haben die friedliche Revolution in das wiedervereinigte Deutschland eingebracht und die Westdeutschen die freiheitlichste und beste Verfassung, die Deutschland jemals hatte. Ich bin froh, dass ich gerade unter diesem Grundgesetz leben darf, auch wenn mancher manches darin noch mangelhaft empfinden mag.
Im Übrigen lehne ich das Wort „Wende“ für diese Zeit entschieden ab und ich streiche das Wort aus jedem Schriftsatz, der mir vorgelegt wird, heraus. Erstens wurde das Wort „Wende“ von Egon Krenz geprägt. So viel Ehre steht dem letzten Generalsekretär der SED und Wahlfälscher vom 7.Mai 1989 nicht zu. Außerdem war es eine Revolution, auch wenn sie zum Glück ohne Blutvergießen und friedlich verlief – eine Revolution, die den Deutschen sogar untypischer Weise noch gelungen ist.
Für mich ist die Wiedervereinigung nach wie vor ein Wunder. Nach menschlichem Ermessen hätte sie nicht gelingen können, zu viel hing am seidenen Faden. Dass Politik und allen voran Helmut Kohl und Michael Gorbatschow und die Verantwortlichen der „2 plus 4 Verträge“ positiv dazu beigetragen haben, sei hier nur am Rande vermerkt. Das Glück war dieses Mal in der Geschichte der Deutschen auf unserer Seite!
Trotz meiner Euphorie und meines Enthusiasmus zu den Ereignissen von 1989/1990 ist mir bewusst, dass diese Zeit von anderen auch ganz anders empfunden wird: Die Einheit, die für mich als Glücksfall in der deutschen Geschichte steht, ist für andere die größte Niederlage – der Zusammenbruch eines sozialistischen Traumes oder auch nur des persönlichen Machtverlustes. Wieder andere haben auf einen eigenen neuen Weg gehofft – einem Sozialismus mit „menschlichem Antlitz“ oder nach einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Wobei ich hier anmerken möchte: Weitere Experimente einer neuen Gesellschaftsordnung hätten die Menschen wohl kaum ertragen. Im Übrigen ist die soziale Marktwirtschaft meines Erachtens der dritte Weg zwischen zentralistischer Wirtschaft und ungezügeltem Kapitalismus. Wir müssen nur dazu beitragen, dass die soziale Marktwirtschaft auch wirklich sozial bleibt!
Ich will auch alle diejenigen nicht verschweigen, die die Einheit herbei gesehnt hatten, die aber nicht zu den sogenannten Gewinnern der Einheit zählen, u.a. wegen des Verlustes ihrer Arbeitsplätze, ihrer Netzwerke und manchmal auch ihrer Freundschaften. Mancher saß in den Gefängnissen der DDR und konnte beruflich nicht dort anknüpfen, wo er ausgeschieden war. Aus meinem eigenen Lebensumfeld weiß ich, wie groß die Leere ist, wenn man plötzlich unverschuldet von der Arbeit abgeschnitten wird. Ich weiß wie hart der abrupte Bruch ist, der mit dem Verlust des Arbeitsplatzes einhergeht. Das bedeutete oft auch über Nacht Arbeitskollegen, Freunde und den gewohnten Lebensrhythmus zu verlieren.
Allen genannten mit ihren unterschiedlichsten Empfindungen möchte wenigstens sagen: Ja, es wurden auch manche Fehler bei der Wiedervereinigung gemacht. Es gab aber leider auch kein Lehrbuch: „Wie mache ich aus einer Planwirtschaft eine soziale Marktwirtschaft und aus einer zentralistischen Gesellschaft eine plurale Gesellschaft!“ Den umgekehrten Weg von der Marktwirtschaft zur zentralistischen Wirtschaft, den kannten wir.
Ich will diejenigen nicht vergessen, die kurz vor oder nach der Wiedervereinigung geboren wurden oder aus anderen Ländern und Kulturen zu uns kommen. Für diese Menschen sind unsere Geschichten über die DDR wie bei uns früher die Geschichten unserer Eltern über die Vorkriegszeit. Ich kann nur sagen: Seien Sie nachsichtig und sehen sie uns unsere Nostalgie bei diesem Thema nach. Wir haben sie unseren Eltern auch nachgesehen. Aber lernen Sie dennoch aus unserer gemeinsamen Geschichte!
Alle diese verschiedenen Menschen mit ihren verschiedenen Empfindungen leben in unserer Gesellschaft, leben hier in Nordhausen zusammen. Sie müssen zusammen leben, ob sie es wollen oder nicht. Und da stellt sich mir die Frage nach dem, was unsere Gesellschaft, was auch unsere Stadt letztlich zusammen hält.
Sie werden es ahnen: Ich habe keine abschließende Antwort darauf. Das würde auch den Rahmen der heutigen Veranstaltung sprengen. Aber ich will einige Punkte aufzählen, die mir wichtig sind:
Erstens: Freiheit ist die Basis unserer Gesellschaft. Ohne Freiheit könnte sich die Gesellschaft nicht weiter entwickeln. Ich zitiere Michael Gorbatschow: „Wir brauchen die Freiheit wie die Luft zum Atmen“. Leider wird dieser Wert heute zu wenig geschätzt. Wir haben die Erfahrung gemacht: Freiheit ist alltäglicher, als unser Traum von ihr! Im Alltag spüren wir die Freiheit leider kaum mehr. Dennoch bleibt Freiheit die Grundlage unseres Gemeinwesens. Freiheit ist auch verletzlich, sie muss beschützt werden. Aber, und hier stimme ich unserem Bundespräsidenten Joachim Gauck zu: Zur Freiheit gehört auch Verantwortung. Freiheit und Verantwortung sind die beiden Seiten einer Medaille. Bei so manchem anonymen Internetforum kann man sagen: Ja, Pressefreiheit ist da verwirklicht, aber mit Verantwortung hat der Inhalt nicht immer etwas zu tun. Wenn ich dort unter dem Deckmantel der Anonymität lese: „Nordhäuser zeigt Gesicht“, dann komme ich einfach nur ins Grübeln. Auch Schmähvideos gegen andere Personengruppen z.B. Muslime, die ehrverletzend sind, haben zwar mit Pressefreiheit etwas zu tun, aber nichts mit Verantwortung.
Zweitens: Mit der Freiheit haben wir eine Gesellschaftsordnung aufgebaut, die großen Wert auf Pluralismus legt. Was heißt: Jeder möge nach seiner Fasson glücklich werden. Aber wir haben es selbst schon erlebt: Plurale Strukturen, wenn sie auch noch gepaart sind mit einer „radikalen Moderne“ mit seiner hohen Veränderungsgeschwindigkeit, entwickeln eine enorme zentrifugale Kraft. Sie treiben eine Gesellschaft auseinander. Deshalb ist Pluralismus „an sich“ kein Wert, wenn er nicht gepaart ist mit der Toleranz. Pluralismus und Toleranz sind zwei Seiten einer Medaille. Wir müssen ertragen, dass es andere Meinungen, verschiedene Interessen und verschiedene Lebensstile auch in dieser Stadt gibt. Diese Interessen können sich auch in Bürgerinitiativen artikulieren. Eine Gesellschaft ohne Toleranz führt zur Ausgrenzung und Gewalt.
Toleranz darf aber nicht zur Beliebigkeit führen. Die Toleranz hört für mich auf gegenüber den Feinden der Toleranz. Extremisten gleich welcher Art, haben in unserer Gesellschaft nichts zu suchen. Wenn sich Rechtsextremisten in unserer Gesellschaft breit machen, dann ist die Toleranz am Ende und wir werden denen die Stirn bieten. Und ich ergänze – das gilt auch für alle anderen Extremisten und Fundamentalisten.
Drittens: Aus der Freiheit des Menschen ergibt sich auch die Achtung vor der Würde jedes einzelnen. Ich bin dankbar, dass der erste Artikel unseres Grundgesetzes sich mit der Würde jedes Menschen auseinandersetzt. In der DDR-Verfassung war das anders. Dort wurden in Artikel 1 erst einmal die Machtfragen in der DDR geklärt und der Führungsanspruch der SED festgeschrieben. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht unter Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Bundespräsident Johannes Rau forderte seinerzeit in Erfurt: Die Würde des Menschen verlangt nicht nur, einander zu achten, sondern auch, aufeinander zu achten!
Hieraus ergibt sich m.E. eine unerschöpfliche Quelle von gesellschaftlichem Miteinander. Wenn wir nicht wollen, dass eine Ich- und Ellenbogenmentalität um sich greift, sich keine `Atomisierung´ der Gesellschaft vollzieht und eine Auflösung sozialer Bindungen geschieht, dann müssen sich die Menschen in der Gesellschaft engagieren. In allen Bereichen der Gesellschaft, ob in Politik, Kunst und Kultur, Sport oder im Sozialen, überall werden Menschen gebraucht, die sich freiwillig und ehrenamtlich engagieren.
Es ist falsch, von einer „Krise des Ehrenamtes“ zu sprechen: 22 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland in irgendeinem Bereich und in irgendeiner Form freiwillig bzw. ehrenamtlich. Das sind 34 Prozent der über 14-jährigen in unserem Land! Und noch besser: Bei den 14- bis 24-jährigen – also bei Jugendlichen, die so oft als träge und desinteressiert abqualifiziert werden – sind es sogar 37 Prozent! Vieles, was im Verborgenen geschieht, ist dabei noch nicht einmal erfasst.
Thüringen liegt mit 32 Prozent etwas unter dem deutschen Durchschnitt, aber unter den jungen Ländern an der Spitze!
Das Ehrenamt ist nicht mehr nur Dienst- und Pflichterfüllung. Es ist immer mehr Instrument bei der Suche nach Entfaltung. Wer sich sozial engagiert, ist mit seinem Leben zufriedener. Diese Befriedigung jedes Ehrenamtlichen, eine sinnvolle Tätigkeit geleistet zu haben, wiegt mehr als nur bloße Beschäftigung. Ehrenamt kann neue Lebensperspektiven eröffnen: Auch Menschen ohne Arbeit engagieren sich freiwillig, für einige wird das Ehrenamt sogar zum Sprungbrett zurück in die Erwerbstätigkeit.
Wir müssen feststellen: Die Gemeinschaft kann ohne die Ehrenamtlichen nur schwer funktionieren. Sie ist auf Ihre Dienste angewiesen. Sie, sehr geehrte Damen und Herren sind ein gutes Beispiel dafür! Was Sie tun und können, ist unbezahlbar.
An dieser Stelle sei es mir gestattet, dass ich auch das ehrenamtliche Engagement in der Politik hervorhebe. Politik geschieht zum überwiegenden Teil ehrenamtlich. Nur wenige können sich auch mit Politik Geld verdienen. Deshalb möchte ich den Stadt- und Gemeinderatsmitgliedern an dieser Stelle ausdrücklich meinen herzlichen Dank aussprechen. Auch ihr Dienst ist unbezahlbar!
Sie, und alle, die wir heute ehren, haben mit ihrer Tat und ihrem Einsatz zugleich den Schritt getan hinaus aus den angeblich so anonymen Strukturen der globalisierten Massengesellschaft. Sie haben Verantwortung übernommen und aktiv mitgestaltet. Sie haben die „Erlebnisgesellschaft“ für sich positiv zum Erlebnis gemacht.
„Eine lebendige Republik erhält sich weniger durch einzelne heldenhafte, als durch viele aktive Bürger“, steht geschrieben. Diese Errungenschaft übrigens, sich als Bürger frei entfalten zu können, sich einer Sache anzudienen, die man selbst für richtig hält und die nicht allein deshalb richtig ist, weil sie in eine Ideologie passt, halte ich für die wichtigen Errungenschaften der friedlichen Revolution und der Deutschen Einheit.

Die wir heute ehren, sagen eben nicht zu den anderen, „Nun macht Ihr mal“, sondern „Jetzt mache ich“. Sie haben Verantwortung nicht irgendwohin delegiert, um dann bequem zu kritisieren. Sie haben mitgetan und Sie haben sich selbst verantwortlich gefühlt für das, was sie tun und für die Gemeinschaft. Sie haben ein Stück Zuständigkeit für das Leben in und für unsere Stadt im Ganzen übernommen. Sie haben sich ein Stück Nordhausen für sich ganz persönlich erobert und zu eigen gemacht. Sie haben der Gemeinschaft gedient und Gemeinschaft geschaffen. Sie haben die Freiheitsrechte der Demokratie nicht nur als Abwehrrechte gehen den Staat, sondern als Recht zur Mitgestaltung des öffentlichen Lebens genutzt.
„Ich habe die Leichtigkeit des Seins verloren – aber meinen Weg gefunden“. Diesen Satz habe ich jüngst in einem Buch gefunden, das sich mit 16 Thüringer Lebensgeschichten und die friedlichen Revolution 1989/1990 beschäftigt. Das trifft auf Sie, sehr geehrte ehrenamtlich Tätige sicher nur zur Hälfte zu: Durch Ihre offensichtliche Zufriedenheit mit dem, was Sie der Gemeinschaft geben, könnten Sie sagen, dass sie auch ‚die Leichtigkeit des Seins wieder gefunden haben‘ über die Erfüllung Ihres aktiven Tuns.
Danke für Ihre Arbeit,
Danke für Ihr Mittun und
Danke dass Sie heute hier sind.

Wir verwenden Cookies um die Zugriffe auf unsere Website zu analysieren und geben hierzu Informationen zu Ihrer Nutzung unserer Website an Partner weiter. Mehr Informationen hierzu finden Sie im Impressum und der Datenschutzerklärung.