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Opfer des Nationalsozialismus - Zeh: „Wer auf Radikalisierung setzt, sei auf das Grundgesetz verwiesen“

Dienstag, 27. Januar 2015, 14:03 Uhr
Kranzniederlegung (Foto: Patrick Grabe, Pressestelle Stadt Nordhausen) Kranzniederlegung (Foto: Patrick Grabe, Pressestelle Stadt Nordhausen)
Nordhausen (psv) Mit einer Kranzniederlegung auf dem Ehrenfriedhof gedachte heute Nordhausen den Opfern des Nationalsozialismus. In seiner Rede mahnte Dr. Zeh: „Egal, wer auf Radikalisierung setzt, der sei auf das Grundgesetz verweisen.“

Zeh verwies darauf, dass Nordhausen – als früherer Standort eines Konzentrationslagers – eine besondere Verantwortung habe, das Vermächtnis der getöteten und überlebenden Häftlinge zu bewahren.

Kränze legten u.a. die amtierende Landrätin Jutta Krauth nieder, Vertreter der Fraktionen in Stadtrat und Kreistag, der jüdischen Gemeinde, der Kirchen sowie der Vereine und Verbände.

Hier die Rede des Oberbürgermeisters im Wortlaut:

"Sehr geehrte Damen und Herren, wir gedenken heute, am 27. Januar, der Millionen Opfer und Überlebenden in den deutschen Konzentrationslagern. Dieser Tag wurde von Bundespräsident Roman Herzog als Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus gewählt, weil am 27. Januar 1945 das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde.

Dieser Tag ist auch für unsere Stadt ein besonders wichtiger Tag. Auch Nordhausen war über Jahre hinweg der Standort eines Konzentrationslagers. Mit und von diesem Lager hat Nordhausen gelebt. Deshalb ist es auch um so wichtiger, dass wir in jedem Jahr hier zusammenkommen.

Angesichts des Grauens und der schrecklichen Bilder, die von Ausschwitz auch an diesem Gedenktag uns immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden, fehlt uns die Fähigkeit, diese Hölle in Worte zu fassen. Deshalb will ich mit den Worten eines Gedichtes des deutschen Literaten Werner Bergengruen beginnen. Er schrieb es 1945 in „Die letzte Epiphanie“:

„Ich hatte dieses Land in mein Herz genommen.
Ich habe ihm Boten um Boten gesandt
In vielen Gestalten bin ich gekommen
Ihr aber habt mich in keiner erkannt.

Ich klopfte bei Nacht, ein bleicher Hebräer,
ein Flüchtling, gejagt mit zerrissenen Schuhn.
Ihr riefet den Schergen, ihr winktet dem Späher
Und meintet noch, Gott einen Dienst zu tun.

Ich kam als Gefangener, als Tagelöhner;
Verschleppt und verkauft, von der Peitsche zerfetzt.
Ihr wandet den Blick von dem struppigen Fröner
Nun komm ich als Richter. Erkennt ihr mich jetzt?“

Mit seinem Gedicht hat Bergengruen den Deutschen den Spiegel vorgehalten. Die Deutschen waren verblendet, aufgehetzt und verzerrt vom Hass. Sie haben das Wesentliche nicht mehr sehen wollen: Den Menschen mit seiner unantastbaren Würde.

Eugen Kogon, selbst KZ-Häftling, deutscher Patriot, und später einer der geisteigen Väter des Grundgesetzes sowie Autor des Buches „Der SS-Staat“ schreibt dort unmittelbar nach dem Kriegsende:

„Der durchschnittliche Deutsche wusste nichts davon, dass Gott uns in Menschengestalt zu erscheinen pflegt, in der Gestalt des „geringsten seiner Brüder und Schwestern“, um uns auf die erlösende Probe der einfachen Menschlichkeit zu stellen.

Wir können Deutsche, Amerikaner, Engländer, Franzosen sein, aber vor dem höheren Forum nur so lange, als wir dabei nicht vergessen und verlernen, zuallererst Menschen zu sein. Ich meine, das deutsche Volk sollte mit jener Objektivität, die es auszeichnet, lesen, was in den Prozessakten der Wahrheit als ermittelt und bezeugt geschrieben steht, und dann sich selber fragen:

Wo waren wir hingeraten? Wie war das möglich? Was können wir tun, um vor uns selbst und der Welt zu bestehen?“

Diese Worte von Eugen Kogon haben heute große Aktualität erhalten: Unser Land ist in Bewegung, tausende von Menschen sind auf den Straßen. Die Beweggründe sind zwar diffus, doch umso schärfer muss die Grenze sein. Sie verläuft genau dort, wo eine Gruppe von Menschen, nämlich Minderheiten, zu Sündenböcken gemacht werden soll. Die Mehrheit der Muslime kann nichts für mordende islamistische Fanatiker, genauso wenig wie die Flüchtlinge aus den arabischen Ländern, die um ihr Leben bangen müssen. Diesen Menschen kämpfend um die nackte Existenz – diesen müssen wir Asyl gewähren!


Das ist Deutschlands menschliche und ethische Verpflichtung. Und diese Differenzierung sollte sowohl bei den Pegida-Demonstrationen klar gemacht werden wie bei jenen, die unter Missbrauch von Religion morden.

Und wer es nicht verstehen mag, wer auf Radikalisierung setzt, der sei nachdrücklich auf das Grundgesetz verwiesen: Dort stehen die entscheidenden Sätze. Sie gelten, Wort für Wort, und Wort für Wort sind sie verbindlich und einklagbar:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

Im April werden wir den 70. Jahrestag der Befreiung des KZ „Mittelbau Dora“ begehen. Für viele der Überlebenden wird es aufgrund des Alters der letzte Besuch an der Nordhäuser Leidensstätte sein. Damit wächst unserer Verantwortung: Wir werden das Vermächtnis der Ermordeten und der Überleben antreten- und vor allem bewahren müssen. Lassen Sie uns nun jener gedenken, die der Hölle der Konzentrationslager nicht entkommen konnten und die auch hier beigesetzt sind.
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