Stadtgeschichte

Schon früh: Nordhausen ist Schnittpunkt wichtiger Verkehrswege

Die Siedlung Nordhausen entwickelt sich am Schnittpunkt uralter überregionaler Verkehrsverbindungen. Nach Westen führen die Heerwege nach Heiligenstadt und Duderstadt und die Harzrandstraße zur Pfalz Pöhlde; nach Osten gibt es zwei Straßen zu den Pfalzen Wallhausen, Tilleda, Allstedt und Merseburg. Durch den Harz führen „Königs“- und „Heidenstieg“ nach Harzburg sowie zu den Jagdhöfen Hasselfelde und Bodfeld und zur Pfalz Quedlinburg.

Im 8. Jahrhundert legen die Franken einen Königshof an, der - wie das 3 Kilometer entfernt liegende Sundhausen - militärisch eine Straße sichert, die über die Niederungen der Helme und Zorge führt. Später entsteht hier ein Zisterzienser-Nonnenkloster. Das sehr schöne romanische Portal der einstigen Klosterkirche ist bis heute am Frauenberg erhalten.

Nordhausen: Ein Geschenk für die Königin

Etwa 800 Meter nordwestlich vom karolingischen Königshof, lässt Heinrich - Sachsenherzog und späterer König - oder vielleicht schon sein Vater Herzog Otto um 910 eine Burg errichten. Hier bringt Heinrichs Frau Mathilde 913 ihre Tochter Gerberga und zwischen 919 und 922 einen Sohn zur Welt.

Am 16. September 929 lässt König Heinrich I. in Quedlinburg eine Urkunde ausstellen, mit der er seiner Gemahlin Mathilde auch Nordhausen als Witwengut anweist. Schon 927 hatte er ihr den Zins von Woffleben und Gudersleben geschenkt. Dies sind die ersten sicheren urkundlichen Erwähnungen des Namens der späteren Stadt Nordhausen.

Bequemer Ort für die Königs-Familie

Räumlich mit der Burg verbunden, wird die Pfalz Nordhausen bequemer Aufenthaltsort der königlichen Familie. Die Pfalz liegt südlich des heutigen Domes bei einer geweihten Burgkapelle. Zur Pfalz gehört ein Wirtschaftshof, der wahrscheinlich in der Gegend liegt, die heute noch „Königshof“ heißt. Die zeitweilige Anwesenheit der königlichen Familie zieht Kaufleute an, die sich in der Nähe von Burg und Pfalz ansiedeln. Hier gründet Königin Mathilde als Witwe 961/62 ein Damenstift.

Otto II., damals sieben Jahre alt, verleiht im Jahre 962 dieser Gründung die Einkünfte von Markt, Münze und Zoll am Ort. Es entsteht eine Marktsiedlung als Keimzelle der späteren Stadt Nordhausen. Größere Jahrmärkte finden – auch heute noch! – im Mai und im September, den Zeitpunkten der Feste der Auffindung und Erhöhung des Heiligen Kreuzes, statt. Sie spielten sich auf dem ehemaligen Holzmarkt – dem heutigen Lutherplatz - und am Markt um St. Nikolai ab.

968, nach dem Tode der Mutter, erfüllt Kaiser Otto I. deren Vermächtnis und schenkt dem Damenstift einen Teil seines in Westfalen gelegenen mütterlichen Erbes. Otto II. schenkt 974 dem Stift das Gut Vogelsberg bei Kölleda. Damit ist das Stift materiell voll gesichert. Zwei Jahre vorher hat Otto II. neben anderen Herrscherhöfen auch „Nordhuse“ seiner Gemahlin Theophanu als Mitgift überwiesen.

1158 überlässt Kaiser Friedrich I. Barbarossa dem Damenstift seinen gesamten Besitz in Nordhausen. Der Grund für diesen überraschenden Verzicht auf Reichsgut ist ein Gütertausch zwischen Barbarossa und Heinrich dem Löwen, Herzog von Sachsen. Jetzt ist die Äbtissin des Stiftes Herrin in und über Nordhausen.


Kopie des Gemäldes von Prof. Hans Looschen (Foto: Stadt Nordhausen) Kopie des Gemäldes von Prof. Hans Looschen (Foto: Stadt Nordhausen)

Bild: Kaiser Otto der Große verabschiedet von seiner Mutter, Königin Mathilde


Kaiser Otto der Große verabschiedet sich vor dem Dom von seiner Mutter, Königin Mathilde. Dieses Motiv ist Teil eines Triptichons, das im Flur des Neuen Rathauses zu sehen ist. Im Auftrag des Magistrates der Stadt Nordhausen fertigt 1912 Professor Hans Looschen aus Berlin das Kunstwerk, das Opfer der Bombardierung der Stadt im April 1945 wurde. Das Replikat des Triptichons hängt seit Mai 2001 im Verwaltungsgebäude am Rathausplatz.

Kampf um die Macht zwischen Kaiser Friedrich dem 1. und Heinrich dem Löwen

Der Kaiser beauftragt den Welfen-Herzog „Heinrich der Löwe“ mit dem Schutz der Besitzungen des Damenstiftes.

Als jedoch der Konflikt zwischen dem Staufer-Kaiser Barbarossa und dem Welfen-Herzog zum Krieg eskaliert, brennt Heinrich Nordhausen 1180 nieder.

Nordhausen wird rasch wieder aufgebaut, und ist am 22. Juli 1212 Schauplatz eines besonderen Ereignisses: Welfen-König Otto IV. heiratet die 14-jährige Beatrix von Hohenstaufen.

Der Papst will mit dieser Hochzeit Staufer und Welfen aussöhnen und hat sie eingefädelt.

Die ob der Heirat untröstliche Beatrix stirbt vier Tage nach der Hochzeit „unter unglücklichen Umständen“ – durch eigene Hand.


Kampf zwischen Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) und Heinrich dem Löwen. (Foto: Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929)) Kampf zwischen Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) und Heinrich dem Löwen. (Foto: Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929))

Bild: Kampf zwischen Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) und Heinrich dem Löwen


Im Kampf zwischen Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) und Heinrich dem Löwen steht Nordhausen auf der Seite des Kaisers. Diese Anhänglichkeit muss Nordhausen im Jahr 1180 büßen: Heinrich der Löwe erobert die Stadt und zündet sie an.

Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929)

Nordhausen wird „Freie Reichsstadt“

Nordhausen scheint in dieser Zeit für das Königtum wieder größere Bedeutung zu gewinnen auch aus diesen Gründen sind 1219 die Bemühungen Dietrichs von Honstein, des damaligen Propstes des Damenstiftes, im Bündnis mit dem Erzbischof von Magdeburg erfolgreich, das Damenstift in ein Domherrenstift umzuwandeln und die Rechte des Königs zu restituieren. Die dazu am 27. Juli 1220 in Würzburg ausgestellte Urkunde liegt im Stadtarchiv nur in Abschrift im sogenannten Rauhen Buch vor. Nach seiner Krönung zum Kaiser bestätigt Friedrich II. diese Verfügung durch eine am 11. März 1223 in Italien ausgestellte Urkunde, wie es darin heißt, auf Bitten seines Kapellans, des Nordhäuser Propstes Dietrich von Honstein.

Jahres 1220 sind ein wichtiger Schritt hin zur Herausbildung einer freien Reichsstadt, die nur den König als weltlichen Herrn über sich anerkennt. Doch in einer Zeit, als das Königtum besonders schwach ist, erstürmen die Bürger im Jahr 1277 die Reichsburg, die sich an der Stelle der alten Heinrichsburg befindet und vertreiben die königlichen Dienstleute.

Die Veränderungen des 1290 beendet König Rudolf von Habsburg den Konflikt mit der Stadt, bestätigt den Bürgern alle von Kaisern und Königen jemals verliehenen Privilegien und nimmt die Stadt in den Schutz des Reiches. Die von ihm verliehenen Privilegien bilden die rechtliche Grundlage für die reichsfreie Stellung der Stadt.


Stadtsoldaten am Barfüßertor um 1800 (Foto: Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929)) Stadtsoldaten am Barfüßertor um 1800 (Foto: Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929))

Bild: Stadtsoldaten am Barfüßertor um 1800


Stadtsoldaten am Barfüßertor um 1800. Als freie Reichsstatdt macht Nordhausen seit dem 17. Jahrhundert von dem Recht Gebrauch, eigenen Soldtruppen zu halten. Als Nordhausen 1802 preußisch wird, werden die Truppen zum Teil verabschiedet, zum Teil in die preußische Armee übernommen.

Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929)

Der Nordhäuser Judeneid (13./14. Jahrhundert)

Die Nordhäuser Einungen (Statuten) formulierten als geltendes Stadtrecht einen Verhaltenskodex für alle Bürger der Stadt und Fremde, die sich zeitweilig in der Stadt aufhielten. Sie sind um 1280, 1308 und 1350 entstanden und gehören zum wertvollsten Bestand des Nordhäuser Stadtarchivs.

Nordhäuser Judeneid in der Statutensammlung von 1350, eingetragen um 1360 auf der Rückseite von Bl. 1 (Foto: Stadt Nordhausen) Nordhäuser Judeneid in der Statutensammlung von 1350, eingetragen um 1360 auf der Rückseite von Bl. 1 (Foto: Stadt Nordhausen)

Bild: Nordhäuser Judeneid in der Statutensammlung von 1350, eingetragen um 1360 auf der Rückseite von Bl. 1



In der hier abgebildeten Einung von 1350 (Dritten Statutensammlung) befindet sich auf der Rückseite von Blatt 1 der Nordhäuser Judeneid.
Die neueste Forschung geht von der Existenz einer jüdischen Ansiedlung in Nordhausen bereits im Zeitraum 1250 bis 1300 aus.

Auch die ältesten erhaltenen Statuten von ca. 1285 beweisen, dass Juden bereits nach 1250 in Nordhausen ansässig sind.
Die um 1285 geschriebene älteste erhaltene Einung der Bürger erwähnt Juden in Nordhausen bereits in 5 Abschnitten:
Die Statuten um 1285/1300 garantierten den Juden in Nordhausen Rechtssicherheit und Schutz vor Willkür und Gewalt.

Auf die Existenz einer jüdischen Gemeinde (Kehilla) in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts weisen das Amtsbuch (Liber privilegiorum et Album civium) und das Lehn- und Erbzinsbuch des Kreuzstiftes (Liber feodalis et censuum perpetuorum ecclesie S. Crucis ) hin.

Nach den Forschungen von Maike Lämmerhirt wird die Gemeinde Nordhausen als Kehilla erwähnt, das bedeutet, dass hier eine voll ausgebildete jüdische Gemeinde bestand, der einige Siedlungen in der umliegenden Region als Jischuwim angehörten.

Tochtersiedlungen der jüdischen Gemeinde Nordhausen (bis 1349)
Nach dem Deutzer Memorbuch gehen von der Nordhäuser Gemeinde jüdische Tochtersiedlungen in Stolberg/Harz, Ellrich, Frankenhausen, eventuell Duderstadt und Sangerhausen aus.

1320 erhält Jacobus von Ellrich das Nordhäuser Bürgerrecht. Das bedeutet, dass zu dieser Zeit in Ellrich bereits eine kleine Tochtersiedlung (Jischuw) bestand.
Nordhäuser Judeneid auf der Innenseite des Rückdeckels der Nordhäuser Handschrift des Mühlhäuser Reichsrechtsbuches (Foto: Stadt Nordhausen) Nordhäuser Judeneid auf der Innenseite des Rückdeckels der Nordhäuser Handschrift des Mühlhäuser Reichsrechtsbuches (Foto: Stadt Nordhausen)

Bild: Nordhäuser Judeneid auf der Innenseite des Rückdeckels der Nordhäuser Handschrift des Mühlhäuser Reichsrechtsbuches



Der in den 3. Nordhäuser Statuten überlieferte Judeneid (aufgeschrieben um 1360) geht auf den Mainzer Erzbischof Konrad I. (von Wittelsbach) zurück, der 1161–1165 und 1183–1200 residierte. Der Maizer Erzbischof übte seit dem 13./14. Jahrhundert eine Schutzherrschaft über alle deutschen Juden aus.

Der Eid lautet folgendermaßen:

Dyssen nachgeschrebin eyd soln / die iuden swere wen sie recht / tun sullin vor me Rate, des / dich der Rad schuldiget des biz / du vnschuldig so dir got so / helffe der got der hemel vnd erdin / geschuff loub blumen vnd graz / des da vore nie gewas vnd ab /du vnrecht sweres daz dich die / erde vorslinde, die datan vnd / abiron vorslant, vnd ab du vnrecht / swerst, daz dich die maselsucht beste / die naamannen lis vnd ihesi bestunt / vnd ab du vnrecht swerest daz / dich die E vortelige die / got moysi / gab in dem berge synay die got / selbin schreib met sinen vingern / an der steynen tabeln vnd ab / du vnrecht swerst daz dich vellin / alle die schriffte die geschribin / sint an den vunff buchen moysi / Dit iz der eyd den bischoff conrad / von mencze gegebin hat.

Dieser Eid ist zweifellos auch hier schon um 1200 in Gebrauch gewesen.

Er gleicht im Wortlaut dem Erfurter Judeneid.

Ein diskriminierendes äußeres Zeremoniell, dass z. B. der Schwörende einen Strick um den Hals tragen oder den Eid auf einer Sauhaut (siehe Abbildung) zu leisten hatte, ist in Nordhausen nicht bekannt.
Im Schultheißenbuch von 1538 heißt es: Judden sollenn ane Vorsprechenn nicht vor gerichte komen ader handeln, Sondern sich haldenn wie andere so das gericht brauchen.
Ein Nordhäuser Judeneid aus dem 14. Jahrhundert (nach Meyer, entgegen Förstemann, der ihn für jünger hält) ist auf einem Papierstreifen auf der Innenseite des hinteren Deckels des Mühlhäuser Reichsrechtsbuches im Nordhäuser Stadtarchiv erhalten:

Daz ich min gut nach der stat gisetze togenliche verschozzit habe unde min gihusen wolle melde, daz swere ich • daz mi got so helfe unde di E • di got gab Moysi uffe deme berge zu Synai an der steynen tafeln, unde ab ich unrecht swere, unselig muze ich werde, vorslinde muze mich di erde alse chore Dathan unde Abyran den nach iren werken wart lon • amin amen.

Ende des 14. Jahrhunderts: Die Bürgeropposition begehrt auf - Errichtung des Rolands

1323 befreit Ludwig der Baier Nordhausen von der geistlichen Gerichtsbarkeit in weltlichen Angelegenheiten. Er verpfändet jedoch im selben Jahr Nordhausen – wie auch das benachbarte Mühlhausen - als Mitgift für seine Tochter für 10.000 Mark Silber an den Landgrafen von Thüringen, dem Schwiegersohn des Kaisers. Die beiden Reichsstädte müssten sehen, wie sie diese Summe aufbrachten. Es lässt sich nicht belegen, ob das herrschende Ratsregiment damals beabsichtigt, die kaiserliche Forderung durch eine entsprechende Umlage auf die Bevölkerung zu erfüllen. Jedenfalls bricht in der Osterwoche 1324 ein Aufstand aus, und Henning von Wechsungen vertreibt mit seinen Anhängern den Bürgermeister Conrad Tile und andere Vertreter der herrschenden Geschlechter.

Schließlich verjagt man auch die Domherren und plündert ihre Häuser und Höfe. Die Grafen von Honstein nehmen sich der Vertriebenen an und fallen am 14. April 1329 durch das Altentor gewaltsam in die Stadt ein - werden aber von den Bürgern zurückgeschlagen. Zur Erinnerung an diesen heldenmütigen Einsatz stiftet der Rat eine „Spende“, die jahrhundertelang an die städtischen Amtspersonen und Arme verteilt wird.

Die mittelalterliche Reichsstadt Nordhausen erlebt im 14. Jahrhundert ihre Blütezeit. Davon zeugen zwei Pfanddarlehensverträge von 1344 und 1370 mit den Grafen von Honstein. Nach der Eingemeindung der Neustadt (Unterstadt) 1365 erringt die bürgerliche Opposition im Jahre 1375 einen vollen Sieg über den alten patrizischen Rat, der seine alte Macht verliert.

Nordhausen gehört jetzt zu den wenigen Städten, in denen die Bürgeropposition einen vollen und dauerhaften Sieg erkämpft. Nach neueren Deutungen ist es gerade dieses Ereignis, das den Rat zur Errichtung eines Rolandstandbildes veranlasst. Der Roland wird wohl Ausgang des 14. Jahrhunderts, als sich die neue Ordnung stabilisiert hatte, am Rathaus aufgestellt, steht hier bis zu den Stadtbränden von 1710 und 1712 und wird 1717 durch den jetzigen Roland ersetzt.

Der Thüringer Städtebund, dem seit 1304 bzw. 1306 das mainzische Erfurt und die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen, zeitweilig auch Jena, angehören, entwickelt sich zu einem wichtigen Machtfaktor des Städtebürgertums in Thüringen.

Im 15. Jahrhundert: Die Freie Reichsstadt ist von Feinden umzingelt

Das 15. Jahrhundert ist für Nordhausen eine komplizierte Zeit. Die Freie und des Reiches Stadt ist von Feinden umgeben und durch ständige Fehden mit den Grafen von Honstein, Stolberg und Schwarzburg geschwächt. 1436 erteilt Kaiser Sigismund den Bürgern das Privileg, die Vorstädte zu befestigen und auch in der Stadtflur Befestigungen anzulegen. Noch im selben Jahr bricht der Streit aus: Die Grafen blockieren die Straßen und verhindern, dass Getreide, Holz, Kohlen und andere lebenswichtige Dinge in die Stadt gelangen. Darüber hinaus beanspruchen sie Rechte über die Vorstädte und insbesondere an den beiden Frauenklöstern.

1464 verschärft sich die Situation: Graf Heinrich von Stolberg fällt in die Stadt ein und droht, die Feldfrüchte zu verderben. Durch Vermittlung Herzog Wilhelms von Sachsen willigen beide Seiten ein, die Rechtsverhältnisse in der Stadtflur durch Zeugenvernehmungen zu klären, es kommt zu einem Vergleich.

1466 kauft die Stadt von den Grafen von Stolberg und Schwarzburg die Gerichtsbarkeit über die Stadtflur für 4004 rheinische Gulden. Die Flurgrenze wird exakt festgelegt und mit Steinen markiert. Dennoch kommt es in den 70-er Jahren wieder zu Übergriffen der Grafen - die Stadt errichtet zu ihrem Schutz an der gefährdeten Ostseite 1487 ein mächtiges Befestigungswerk, den sogenannten Zwinger.

Nordhausen kommt in dieser Zeit zu Wohlstand. Grundlage dafür ist der Getreideumschlag aus der Goldenen Aue am Kornmarkt. Die reichen Klöster Walkenried und Ilfeld stapeln im Walkenrieder- und Ilfelder Hof ihre Zinsfrüchte. Auch ein Privileg Kaiser Karls IV. von 1368 - das Verbot, innerhalb einer Meile um die Stadt Bier zu brauen und Märkte abzuhalten - fördert den Wohlstand der Nordhäuser Bürger.

16. Jahrhundert: Nordhausen ist Vorreiter in der Reformation

Im Zeitalter der Reformation gehört die Reichsstadt einerseits zum Niedersächsischen Kreis, ist andererseits aber durch Schutzverträge und das Reichsschultheißenamt eng mit Kursachsen verbunden.

Nach dem Urteil Luthers hat sich keine Stadt dem Evangelium so bald angeschlossen wie Nordhausen. 1522 hält Lorenz Süße, Prior der Nordhäuser Augustiner-Eremiten, die erste evangelische Predigt. 1524 beschließt der Rat offiziell die Einführung der Reformation. Im Frühjahr 1525 predigt Luther auch hier gegen die Anhänger Münzers.
Der spätere Bürgermeister Michael Meyenburg, der enge Beziehungen zum Erfurter Humanistenkreis und zu Melanchthon unterhält, fördert zwar die Festigung der Reformation im Inneren, ergreift aber nach außen die Partei des Kaisers und betrieb eifrig die Säkularisierung der ertragreichen Klostergüter.
Johannes Spangenberg ist der eigentliche Reformator von Kirche und Schule Nordhausens und schließlich des gesamten Südharzes. Er ist von 1524 bis 1546 Pfarrer an St. Blasii, danach Prediger in Eisleben und General-Superintendent der Grafschaft Mansfeld. Auch der gebürtige Nordhäuser Justus Jonas wird zum Freund und Weggefährten Luthers und zum Reformator der Stadt Halle.


Luther predigt in Nordhausen (Foto: Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929)) Luther predigt in Nordhausen (Foto: Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929))

Bild: Luther predigt in Nordhausen gegen die aufrührerischen Bauern.


Auch in Nordhausen findet der Bauernaufstand seine Anhänger. Als Luther auf seiner Durchreise in der Stadt gegen den Aufruhr des Bauernkrieges predigt, wird er, wie er selbst in Tischgesprächen erzählt, von etlichen verhöhnt.

Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929)




Gemälde von Lukas Cranach dem Jüngeren (Foto: Stadt Nordhausen) Gemälde von Lukas Cranach dem Jüngeren (Foto: Stadt Nordhausen)

Bild: Gemälde von Lukas Cranach dem Jüngeren


Das Gemälde von Lukas Cranach dem Jüngeren ist ein Erinnerungsbild für die Witwe von Michael Meyenburg. Im Vordergund auf der linken Seite ist der knieende verstorbene Michael Meyenburg zu sehen mit seinen zahlreichen Söhnen. Auf der rechten Seite sieht man Meyenburgs jung verstorbene 1. Frau mit der zweiten Frau und der einzigen Tochter. Bildmittelpunkt ist die Auferstehung des Lazarus, den Christus vom Tode erweckt. Links verdient die „Reformatorengruppe“ Aufmerksamkeit. Sie zeigt Luther mit seinen Mitarbeitern Phillip Melanchton, Caspar Cruciger, Justus Jonas, Bugenhagen, wohl Spalatin und vielliecht Johannes Forster - außerdem Erasmus von Rotterdam. Das Bild - signiert mit der Jahreszahl 1558 - ist seit der Bombardierung Nordhausens im April 1945 verschwunden. Eine Kopie des Bildes aus dem Jahr 1927 ist in der St. Blasii-Kirche zu sehen.

Der Dreißigjährige Krieg erreicht Nordhausen

Kurz vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges legt der große Brand von 1612 die Stadt vom Neuewegstor bis zum Töpfertor in Schutt und Asche. Manche Häuser sind auch nach zehn Jahren noch nicht wieder aufgebaut.

Im Dreißigjährigen Krieg behauptet sich die Reichsstadt Nordhausen nur durch ständiges Lavieren zwischen dem katholischen Kaiser als ihrem eigentlichen Oberhaupt einerseits und den protestantischen Fürsten und Städten als ihren Verbündeten andererseits.

Nach Ausbruch des Krieges im April 1619 beschließen die „Herren Ältesten“, eine Bürgerwehr zu bilden, die Geschütze instand zu setzen und werben 30 Soldaten an. 1622, als die Lage ernster wird, lässt der Rat die Bürgerschaft mustern und exerzieren. Im Januar 1623 stellt der Niedersächsische Kreis ein eigenes Heer auf - Nordhausen hat dafür 90 Mann zu stellen. Im Herbst 1625 erreicht der Krieg den Südharz und Nordhausen. Auf Bitte der Stadt hin stellt der Kaiser Nordhausen einen Schutzbrief (Salvaguardia) aus. Doch angesichts der rauen kriegerischen Wirklichkeit bedeutet diese papierne Zusicherung wenig. Allerdings schützt sie die Stadt vier Jahre lang vor wirklicher Einquartierung, die schlimmer ist als die härteste Kontribution.

Die erste Einquartierung kaiserlicher Truppen kommt Ende 1629. Auch eindringliche Notschreie und persönlichen Bemühungen des Bürgermeisters Wilde können das nicht verhindern.

Anfang 1630 heißt es, dass die Soldateska hier schamlos hause und „alles auffresse“. Die Stadt hat monatlich an die 3000 Taler aufzubringen.

Nach der Schlacht von Breitenfeld 1631 nähern sich auch die Schweden der Nordhäuser Gegend. Am 2. März 1632 dringen sie unter dem Obersten von Wedel in Nordhausen ein, plündern die Häuser, misshandeln die Bürger. Sie raubten den Dom zum Heiligen Kreuz aus, zerschlagen Altäre und Orgel und schänden Gräber. Die Gräueltaten wiederholen sich am 19. Juli 1632, als der schwedische Oberstleutnant von Wrangel mit seinen Truppen in die Stadt einfällt, und 1634 durch die Finnischen Reiter des Obersten Stalhand. Bis zum Herbst des Jahres 1636 liegen Schweden und niedersächsische Truppen in der Stadt. Schließlich plündern kaiserliche Truppen hier derart, dass sie im Februar 1637 Nordhausen wegen Nahrungsmangels verlassen müssen.
Im letzten Jahrzehnt bis Kriegsende folgt eine Einquartierung der anderen - rund 2000 Nordhäuser müssen deshalb in ihrer Not im benachbarten Stolberg Schutz suchten.

Die Folge des Krieges ist allgemeine Verarmung; viele Häuser sind zerstört oder stehen leer. Spätere Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Ernten regelmäßig eingebracht werden können und das Vieh nicht gänzlich ausging, so dass es wohl in Kriegszeiten keine lang andauernde Hungersnot gibt.

17. Jahrhundert: Kurbrandenburg will Nordhausen

Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts versucht Kurbrandenburg, sich der Stadt zu bemächtigen. Dazu erwirbt Kurfürst Friedrich III. das Schultheißenamt und die Reichsvogtei über Nordhausen, zwei uralte Reichsämter, die sich bisher in den Händen Kursachsens befanden. Mit dem Kauf des Walkenrieder Hofes von Sachsen-Gotha für 80.000 Taler gewinnt der Kurfürst einen festen Stützpunkt in der Stadt. Der Hof ist ein noch heute sehenswertes, aus Dolomitquadern errichtetes, Gebäude mit geräumigem Innenhof und großen Schüttböden für die Zinsfrüchte der vornehmlich in der Goldenen Aue gelegenen Ländereien.

Auch Kurfürst Friedrich Wilhelm I. fordert vom Kaiser vehement die Städte Nordhausen, Mühlhausen und Dortmund als Entschädigung für verlorengegangene Gebiete. Nordhausen soll Hauptstadt der preußischen Grafschaft Hohnstein (Herrschaften Lohra und Klettenberg) und ein wichtiger Stützpunkt des zersplitterten kurbrandenburgischen Territoriums zwischen halberstädtischen und westfälischen Landesteilen werden. Zur Abwehr dieser Ansprüche treten die Reichsstädte Mühlhausen, Nordhausen und Goslar in Verhandlungen, um ein Schutzbündnis anzubahnen. 1695 lassen sie sich einen kaiserlichen Schutzbrief ausfertigen, der ihnen ihre Privilegien bestätigt.

Am 7. Februar 1703 überfallen brandenburgisch-preußische Truppen die Stadt. 1200 Mann Fußsoldaten gelangen über die zugefrorenen Teiche vor das Siechentor, brechen es auf, überrumpeln die Stadtsoldaten, dringen in die Oberstadt vor, wo sie vor dem Rathaus und auf dem Kornmarkt ihre Geschütze drohend gegen das Haus des hochbetagten Bürgermeisters Dr. Conrad Fromann richten.

Zwar fügt sich die Bürgerschaft zunächst der Übermacht, betreibt aber am Wiener Hof sowie bei den mit Preußen rivalisierenden Mächten, insbesondere Hannover, ihre Interessen sehr geschickt. Der neue Preußenkönig Friedrich Wilhelm I., der gerade in den Nordischen Krieg verwickelt ist und sich in Geldnöten befindet, tritt 1714 seine Rechte und Ansprüche für 50.000 Taler an Nordhausen ab. Für die Stadt geht mit dem Erwerb des Vogtei- und Schultheißenamtes ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung.

Siebenjähriger Krieg

Die ersten fremden Soldaten, die in Nordhausen gesehen werden, sind Franzosen. Seit dem 14. September 1757 erscheinen sie in kleineren Abteilungen, besetzen die Grafschaft und führen am 18. September den Landrat Baron von Werthern zu Kleinwerther nach Goslar in die Gefangenschaft.

Nachdem sie die Spendekirche zum Heu- und Strohmagazin, den Walkenrieder Hof zum Korn-, den Ilfelder Hof zum Hafermagazin und das Hospital St. Martini zum Lazarett machen, ziehen am 10. Oktober mehr als 5000 Franzosen unter dem Befehl des Herzogs von Broglie in die Stadt ein. In manche Häuser werden 20, 40 und mehr Mann einquartiert. Die Reichsstadt Nordhausen wird zu diesem Zeitpunkt noch als Verbündeter betrachtet.

Nach der Niederlage von Roßbach rückt am 9. November 1757 der Oberbefehlshaber, der Prinz von Soubise, mit beinahe der gesamten Generalität und den Resten der Armee in Nordhausen ein. Der Prinz von Soubise nimmt sein Quartier im Haus des Vierherren Moring am Kornmarkt. Das Gymnasium wird mit 300 Mann belegt. In das Martini-Hospital und in die dazugehörige Kirche ziehen 653 Kranke und Verwundete ein. Am 14. November verlassen die Franzosen Nordhausen in Richtung Ruderstadt.

In den folgenden drei Jahren steht Nordhausen überwiegend unter preußischer Herrschaft. Am 17. März 1758 besetzen preußische Husaren und Kürassiere die Stadt, postieren zwei Kanonen vor der alten Hauptwache am Holzmarkt, dem heutigen Lutherplatz, und erpressen 14.000 Taler.

1759 bricht für Nordhausen die eigentliche Leidenszeit an. Die preußischen Kontributionsforderungen werden immer höher, sie werden immer brutaler eingetrieben. Im Februar 1759 muss die Stadt dem preußischen Leutnant Baron von Knigge 40.000 Taler bezahlen. Kaum ist dieser abgezogen, fordert Rittmeister v. Kovats 100.000 Taler und droht, die Stadt an vier Stellen gleichzeitig anzuzünden zu lassen.

Schließlich begnügt er sich mit 10.000 Talern. Als er die Stadt ein zweites Mal heimsucht, nimmt er ein wertvolles Geschütz mit: die große Feldschlange, „Lindwurm“ genannt, die aus dem Jahre 1519 stammt. Sie gehört zu den schönsten in ganz Deutschland. Die angesehensten Bürger, zwei Bürgermeister, ein Vierherr und zwei Ratsherren, werden als Geiseln nach Magdeburg verschleppt, wo sie jedoch auf Kosten der Stadt recht angenehm leben.

Am 7. September 1761 rücken wieder Franzosen in die Stadt ein und bleiben jetzt ein Jahr. Sie zerstören das Mehl- und Brotmagazin in der Spendekirche. Die Säcke voller Mehl werden in den Stadtgraben und schließlich einfach auf die Straße geschüttet, wo „von armen Bürgersleuten vieles wieder zusammengebracht und aufgehoben“ wird.
Man hat berechnet, dass die Stadt an Preußen 201.455 Taler Kontribution zahlen muss, 15.597 Taler an die Reichsarmee, 15.200 Taler zum Unterhalt der Geiseln in Magdeburg, nicht gerechnet die Naturallieferungen, Einquartierungskosten sowie den Verlust des „Lindwurm“.


Rittmeister von Kowats führt die Geschütze der Stadt Nordhausen (Foto: Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929)) Rittmeister von Kowats führt die Geschütze der Stadt Nordhausen (Foto: Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929))

Bild: Rittmeister von Kowats führt die Geschütze der Stadt Nordhausen


Der preußische Rittmeister von Kowats führt die Geschütze der Stadt Nordhausen durch das Sundhäuser Tor fort. In der Stadtchronik von Ernst-Günther Förstemann heißt es dazu: „Nachdem er [Kowats] noch manchen Unfug in der Stadt geübt hatte, ..., nahm [er] aber zum großen Jammer der Bürger das schönste Geschütz, ein Wahrzeichen der Stadt, die große Feldschlange von 1519, Lindwurm genannt, mit hinweg, samt der letzten kleinen metallenen Kanone.“

Zeichnung: Fritz Teichmüller (1929)

1802: Ende der Reichsfreiheit - Nordhausen wird dem Königreich Preußen angegliedert

Der Übergang zu einer preußischen Landstadt im Jahr 1802 wird von den Zeitgenossen zumeist betrauert. Das historisch längst überfällige Ende der alten Reichsherrlichkeit im Zusammenhang mit den im Gefolge der Französischen Revolution einhergehenden Umbrüchen in Europa, leitet – zunächst in der Verwaltung, später auch auf anderen Gebieten – einen Prozess der Modernisierung und Urbanisierung ein.

Seit 1807: Modernisierung und Gleichstellung der Juden

Von 1807 bis 1813 gehört Nordhausen zum Harzdepartement des Königreichs Westfalen. Das Königreich ist de facto ein französischer Satellitenstaat. In der Stadt werden notwendige Reformen nach französischem Vorbild vorgenommen.

Am 1. Januar 1808 huldigen die Landstände (Adel, Geistlichkeit, Städte) dem neuen König Jerôme Buonaparte. In Nordhausen wird am 21. Februar 1808 das Krönungsfest und am 28. Februar die Huldigungsfeier begangen. Als Maire fungiert seit Juni 1808 der bisherige Bürgermeister Grünhagen. Neben dem Magistrat gibt es einen aus 16 Mitgliedern bestehenden Munizipalrat.

Im Zuge der Modernisierung wird neben der Verwaltung auch das Schulwesen neu geordnet, insbesondere die Elementarbildung und Mädchenbildung verbessert. An die Stelle der alten Parochialschulen an den Pfarrkirchen treten je zwei Stadtschulen für Jungen und Mädchen, eine Armenfreischule im Waisenhaus und eine höhere Mädchenschule. Weiterhin existiert das Gymnasium. Am 9. Mai 1808 wird die Höhere Töchterschule eröffnet. Die Schule zählt 1809 schon 51 Schülerinnen.

Am 24. Mai 1808 übernachtet König Jerôme in Nordhausen. Am Abend nach seiner Ankunft überreicht ihm eine Abordnung des Magistrats die Stadtschlüssel.

Seit Juli 1808 dürfen sich Juden als gleichberechtigte Bürger in Nordhausen niederlassen. Als erster Bürger mosaischen Glaubens wandert Meyer Abraham Ilberg aus Wiegersdorf ein und wird am 29. Juli 1808 zum Bürger. Im Februar 1809 hebt die westfälische Regierung sämtliche Zünfte und Innungen auf. Die Einführung der Gewerbefreiheit sowie die staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden sind für eine notwendige Modernisierung des Wirtschaftslebens folgenreich.
Im März 1814 wird die westfälische Verfassung offiziell aufgehoben.

Seit 1816: Nordhausen gehört zum preußischen Regierungsbezirk Erfurt

Seit 1816 ist Nordhausen eine kreisabhängige Stadt im preußischen Regierungsbezirk Erfurt der preußischen Provinz Sachsen und zählt 1821 knapp 9.900 Einwohner. Die Verkehrssituation verbessert sich durch den Bau gepflasterter Straßen - 1818/19 in Richtung Halle und Kassel, 1825/27 nach Stolberg, dann nach Erfurt, 1846/48 nach Ellrich. Auf den Chausseen entwickelte sich bald ein reges Treiben. Nordhäuser Fuhrleute befördern Waren, vor allem den beliebten Branntwein „Nordhäuser Korn“ in alle Gegenden Deutschlands.

Menschen aus den unteren Schichten versuchen damals, durch Schmuggel ihre Lebenssituation zu verbessern. Sie kaufen auf hannoverschem Gebiet, z.B. in Krimderode, die aus Übersee eingeführten Waren und bemühen sich, sie zollfrei auf preußisches Gebiet zu bringen. Zur Bekämpfung des Schmuggels legt die preußische Regierung Soldaten in die Stadt. Sie bekämpft die Schmuggler mit drakonischer Härte und ist bei der Bevölkerung gründlich verhasst.

Die Spannungen zwischen den Soldaten und der Bevölkerung verschärfen sich Anfang 1835. Am 14. Februar gibt es zwischen Grenzjägern und Schmugglern ein regelrechtes Gefecht. Als am 15. Februar Grenzjäger die Häuser am Frauenberg nach unverzollten Waren durchsuchen, werfen Einwohner aus Fenstern und von den Dächern Steine auf die Soldaten herab. Zu tumultartigen Unruhen kommt es, als am 27. Februar Grenzjäger in der Weberstraße den Maurergesellen Brinkmann erschießen. Alle Tore und Straßen werden von Grenzjägern bewacht, mehrere Personen verhaftet. An der Beisetzung Brinkmanns nahmen Tausende von Nordhäusern teil.

Als zwei Jahre später Bürgermeister Kölling von einem Grenzjäger schwer misshandelt wird, erreicht die antipreußische Stimmung in der Stadt einen neuen Höhepunkt. Bürgermeister Heinrich Karl Kölling wird am 27. September 1837 von einem Grenzjäger mit dem Gewehrkolben niedergeschlagen.

Der Vormärz in Nordhausen

Wie überall in Deutschland in dieser Zeit stagnieren auch in Nordhausen Handel und Gewerbe, während die Bevölkerungszahl rasch ansteigt. Charakteristikum dieser Zeit ist die Massenarmut. Vor allem die vielen Handwerker leben unter sehr ärmlichen Bedingungen. Wenn die Getreide- oder Kartoffelernten schlecht ausfallen, treten Hungersnöte erschreckenden Ausmaßes auf. Im Vormärz wächst aber auch das Selbstvertrauen des Bürgertums: Vorsichtig formiert sich eine Opposition gegen das System Metternich, den Obrigkeitsstaat.

An der freiheitlichen Burschenschaftsbewegung dieser Jahre nehmen auch Nordhäuser Studenten teil. Am bekanntesten sind die Brüder Karl und Wilhelm Hoffbauer. Während Karl Hoffbauer die Flucht über die Schweiz nach Dänemark gelingt, wird Wilhelm 1833 wegen Hochverrats zu 5 Jahren Haft verurteilt, nach dreieinhalb Jahren aber begnadigt.

Anfang der vierziger Jahre geraten evangelische Geistliche der Provinz Sachsen, die von der christlichen Aufklärung, vom theologischen Rationalismus beeinflusst waren, in Konflikt mit den Kirchenbehörden. Auf Initiative des Pfarrers Leberecht Uhlich treffen sich seit 1841 diese „Protestantischen Freunde“, auch „Lichtfreunde“ genannt, um ihre rationalistische Glaubensauffassung zu verteidigen. Sie fordern eine wissenschaftliche und vernunftgemäße Begründung des Glaubens, Forschungs- und Lehrfreiheit, die stärkere Beteiligung der Laien an den Angelegenheiten der Kirche. Ein führendes Mitglied der „Lichtfreunde“ ist der Diakon und Hospitalprediger Eduard Baltzer. Als dieser im Sommer 1845 von der St.- Moritz-Gemeinde in Halle zum Pfarrer gewählt wird, verweigert das Konsistorium die Betätigung.

Der Fall Baltzer erregt Aufsehen. Als kurze Zeit danach an der Stadtkirche St. Nikolai zu Nordhausen die Stelle des Pastors Primarius vakant wird, wünscht sich die Mehrheit der Gemeinde gerade Eduard Baltzer zum Nachfolger; er wird am 6. Oktober 1845 zum Pastor Primarius gewählt - doch das Königliche Konsistorium lehnt erneut ab. Der Kirchenvorstand der St. Nikolai-Gemeinde bleibt standhaft, und am 28. März 1846 fordern die meisten wahlberechtigten Mitglieder in einer Erklärung die Bildung einer „Freien deutschchristlichen Gemeinde“. Am 5. Januar 1847 unterzeichnen 101 Mitglieder der bisherigen Kirchengemeinde das Gründungsprotokoll.
Nachdem dieser erste Schritt getan worden war, wächst die „Freie Protestantische Gemeinde“ bis zum Sommer 1847 auf etwa 1.000 Personen und in den folgenden drei Jahren auf 1.500 an. Damit gehören der Gemeinde 10 Prozent der Bevölkerung an.

Eduard Baltzer wird am 17. Mai 1847 zum Stadtverordneten gewählt. Es spricht für sein und das Ansehen der Nordhäuser Gemeinde, dass vom 5. bis 8. September 1847 Abgesandte aller Freien Gemeinden Deutschlands in Nordhausen den Verein Freier Gemeinden gründen, Nordhausen zu seinem Vorort bestimmen und Eduard Baltzer zum Vorsitzenden berufen.

Das Revolutionsjahr 1848, Nordhausen – „Stadt des Freisinns“

Im Revolutionsjahr 1848 stehen viele freireligiöse Gemeinden an der Spitze der politischen Freiheitsbewegung, die das System Metternich hinwegfegen wird. In Nordhausen sind sie zahlreich im Demokratischen Bürgerverein vertreten. Eduard Baltzer wird in das Vorparlament in Frankfurt am Main berufen und Anfang Mai 1848 zum Abgeordneten der Stadt und des Kreises für die Preußische Nationalversammlung in Berlin gewählt. Dr. Wilhelm Hoffbauer zieht als Vertreter der Stadt und des Kreises Nordhausen in die Frankfurter Paulskirche ein, wo er zu den vier entschiedenen Demokraten gehört. 1849 ist er noch Mitglied des Stuttgarter Rumpfparlamentes. Nach kurzer Untersuchungshaft gelingt ihm die Flucht in die Schweiz, von wo aus er 1850 in die USA emigriert.

Durch das Wirken Eduard Baltzers, später durch Persönlichkeiten wie Julius Lerche, Albert Traeger und zuletzt durch Wilhelm Nebelung, ist die Stadt in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die 20-er Jahre des 20. Jahrhunderts durch linksliberales, demokratisches Gedankengut geprägt - sie wird „Stadt des Freisinns“ genannt.

Die Freie Gemeinde eröffnet hier am 20. Januar 1851 den ersten preußischen Kindergarten nach Fröbelschen Grundsätzen, der jedoch schon nach 5 Monaten verboten wird. Baltzer beleuchtet in einem 1862 herausgegebenen „Preußischen Verfassungs-Büchlein für Jedermann“ kritisch die preußische Verfassung und gewinnt 1867 den Rheinländer Eugen Richter als Kandidaten der Fortschrittspartei im Wahlkreis Nordhausen für die Wahlen zum konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes. Eugen Richter kann das Mandat gewinnen, was in Berlin als ein Wunder bestaunt wird, da in ganz Preußen nur drei Kandidaten der Fortschrittspartei gewählt werden.

Nordhausen als nationaler „Impulsgeber“ – Heimat der Vegetarierbewegung

Auch auf anderen Gebieten gehen von Nordhausen Impulse aus, die Entwicklungen von nationaler Bedeutung in Gang setzten. Nicht nur die Kindergarten-Erziehung findet hier sehr früh eine Pflegestätte - Thekla Naveau eröffnete am 1. April 1867 den zweiten Nordhäuser Kindergarten in der Waisenstraße 4 und später ein Seminar zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen. So findet nicht zufällig gerade in Nordhausen am 4. Juni 1873 eine Versammlung der Fröbel- und Kindergarten-Vereine Deutschlands statt. Auf einer Nordhäuser Versammlung wurde der Deutsche Fröbel-Verband gegründet.

Der Nordhäuser Barbier Wilhelm Schröder lädt im Winter 1871 seine Kollegen aus ganz Deutschland nach Frankfurt am Main ein und schlägt ihnen die Gründung eines Verbandes deutscher Friseure vor. Er beruft für 1872 eine Konferenz nach Leipzig ein, auf der sich der Verband deutscher Barbierherren, später Bund Deutscher Friseure genannt, konstituiert.

Nordhausen ist auch Ausgangspunkt der deutschen Vegetarier-Bewegung.

Am 21. April 1867 gründet Eduard Baltzer einen „Verein für natürliche Lebensweise“ und veröffentlicht am 1. Juni 1868 das erste Heft des „Vereins-Blattes für Freunde der natürlichen Lebensweise (Vegetarier)“. Der erste Kongress der deutschen Vegetarier findet am 19. Mai 1869 in Nordhausen statt. Auf ihm konstituiert sich offiziell der „Deutsche Verein für natürliche Lebensweise“. Baltzer wird zu seinem Präsidenten gewählt, 1884 aus Anlass seines 70. Geburtstages zum Ehrenpräsidenten ernannt.

Die führende Persönlichkeit des Nordhäuser Freisinns, der Rechtsanwalt Albert Traeger, wirkt von 1875 bis 1891 in Nordhausen. Seit 1879 ist er Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, ein erfahrener Parlamentarier und glänzender Redner, der mit aller Entschiedenheit für demokratische Rechte eintritt. Nach ihm ging diese Rolle an den Mitbesitzer und Chefredakteur der „Nordhäuser Zeitung“, Wilhelm Nebelung, über. Er war ebenfalls als Parlamentarier, zuletzt noch als Abgeordneter der Preußischen Landesversammlung in Berlin wirksam.

Nordhausen am Vorabend der Diktatur

Die wachsende Stärke der Sozialdemokratie erweist sich bereits im Jahre 1912, als es dem Berliner Rechtsanwalt Dr. Oskar Cohn gelingt, den Kandidaten der Fortschrittlichen Volkspartei, Dr. Otto Wiemer, in der Stichwahl zu schlagen und für die SPD das Reichstagsmandat des Wahlkreises Nordhausen zu erringen.
Das liberale Lager wird durch den frühen Tod seiner führenden Persönlichkeiten zusätzlich geschwächt.

Wilhelm Nebelung stirbt 1920; Emil Bursche, Prediger der Freien Religionsgemeinde, erliegt während einer Protestkundgebung gegen den Mord an Rathenau am 24. Juni 1922 einem Herzschlag. Studiendirektor Gustav Trittel, Mitglied des Provinziallandtages und des Preußischen Staatsrates, leitet die Ortsgruppe der DDP seit 1926 und verstirbt am 21. Februar 1929.

Während in den letzten Jahren vor 1933 die nationalistischen Kräfte erstarken, werden die demokratischen Traditionen der Stadt am Leben erhalten von Persönlichkeiten wie Johannes Kleinspehn, Abgeordneter des Preußischen Landtages von 1921 bis 1933, und Organisationen wie der am 27. Juni 1924 gegründeten Ortsgruppe des Reichsbanners „Schwarz-Rot-Gold“, Ortsgruppen der Deutschen Friedensgesellschaft, des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus, des Bundes Proletarischer Freidenker.

Umzug der Nordhäuser im Jahr 1927 anlässlich des 1000. Stadtgeburtstages. (Foto: Stadt Nordhausen) Umzug der Nordhäuser im Jahr 1927 anlässlich des 1000. Stadtgeburtstages. (Foto: Stadt Nordhausen)

Bild: Ein Umzug der Nordhäuser im Jahr 1927 anlässlich des 1000. Stadtgeburtstages.

KZ Mittelbau-Dora

Ort der Vernichtung durch unterirdische Raketenproduktion V1 und V2


1934-1935 erregt ein Konflikt Aufsehen zwischen Nordhausens Oberbürgermeister Heinz Sting, Landtagsabgeordneter und Leiter der Gauinspektion Thüringen der NSDAP, und Heinrich Keiser, Kreisleiter Südharz von Thüringens NSDAP-Reichsstatthalter Fritz Sauckel. Die Auseinandersetzung, die mit der Absetzung Stings als Oberbürgermeister, dem Verlust aller Parteiämter und seinem zeitweiligen Ausschluss aus der NSDAP endet, ist Ausdruck der Politik Sauckels, seine Macht schrittweise auf die Verwaltung des preußischen Regierungsbezirkes Erfurt auszudehnen.

Die V1- und V2- Raketenproduktion in Nordhausen seit Ende 1943, die damit im Zusammenhang stehende Errichtung des später selbständigen KZ-Außenlagers von Buchenwald, Mittelbau-Dora mit insgesamt 60.000 Häftlingen, insbesondere aber die schrecklichen Bilder des am 11. April 1945 befreiten KZ-Außenlagers Nordhausen / Boelcke-Kaserne machen den Namen der Stadt weltweit in unrühmlichem Sinne bekannt.

20.000 Menschen müssen im KZ aufgrund miserabler Arbeits- und Lebensverhältnisse und auf den Todesmärschen ihr Leben lassen.

Die in Nordhausen vermutete Konzentration militärischer Kräfte führt zur Vernichtung Alt-Nordhausens am 3. und 4. April 1945. Die Bomben der Royal Air Force zerstören 74 % der Innenstadt; 8800 Menschen finden dabei den Tod, was bezogen auf die Wohnbevölkerungszahl 1939 einen Anteil von 21 % entspricht. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55 % gehört Nordhausen zu den am schwersten zerstörten Städten der früheren DDR.

Das zerstörte Nordhausen im Jahr 1945. (Foto: Stadt Nordhausen) Das zerstörte Nordhausen im Jahr 1945. (Foto: Stadt Nordhausen)

Bild: Das zerstörte Nordhausen im Jahr 1945.

Der Aufbau der Stadt nach dem 2. Weltkrieg

Viel später als zunächst erhofft, beginnt der Aufbau der Stadt erst im Jahre 1949. Betriebe, die teilweise oder schwer zerstört wurden, beginnen aber schon 1945 mit der Produktion. Die Politik der Enteignung und Verstaatlichung, die Teilung Deutschlands - Nordhausen, das bisher im Herzen Deutschlands lag, gerät jetzt in eine Randlage -, die Abwanderung des Nordhäuser Bürgertums und vieler Fachkräfte in den Westen Deutschlands - all das zerstört traditionelle Strukturen und lähmt den Wiederaufbau.

Eine Kundgebung im April 1952 zum Jahrestag der Bombardierung der Stadt. (Foto: Stadt Nordhausen) Eine Kundgebung im April 1952 zum Jahrestag der Bombardierung der Stadt. (Foto: Stadt Nordhausen)

Bild: Eine Kundgebung im April 1952 zum Jahrestag der Bombardierung der Stadt.



Dennoch steigt die Einwohnerzahl der Stadt von 32.000 im Jahr 1945 auf 39.000 im Jahre 1958 und 47.000 im Jahre 1981. Diese Zunahme ist nicht nur auf die Eingemeindung der Orte Salza und Krimderode zurückzuführen, die am 1. Juli 1950 gleichzeitig mit dem Verlust der Kreisfreiheit der Stadt erfolgte. In den 1950er Jahren setzt eine starke Zuwanderung ein, die ihre Ursache in der Entwicklung der Nordhäuser Industrie hat.

Hier ist ein bemerkenswerter Rückgang der ehemals führenden Kautabak- und Branntweinbrennerei-Unternehmen zu beobachten, der letztlich zur Konzentration in je einem Großbetrieb führt. Beide sind in der damaligen DDR marktführend:
Der „VEB Nordbrand“ gilt damals als der „größte und modernste Spirituosenproduzent der DDR“, der VEB Tabak als der „größte Zigarettenhersteller der Republik“. Dagegen wächst die Bedeutung der Schwerindustrie, deren Charakter durch das IFA-Motorenwerk (ursprünglich: Schlepperwerk), den VEB Schachtbau, die NOBAS, das Fernmeldewerk und den Brunnen- und Pumpenbau gekennzeichnet wurde.

Im Jahr 1990 sind viele der neugegründeten DDR-Parteien im Gebäude Domstraße 12 vereint. (Foto: Stadt Nordhausen) Im Jahr 1990 sind viele der neugegründeten DDR-Parteien im Gebäude Domstraße 12 vereint. (Foto: Stadt Nordhausen) Die politische Wende 1989/1990, die Wiedervereinigung und ihre Auswirkungen: das Wegbrechen der osteuropäischen Märkte und die Konkurrenz westlicher Unternehmen - überstehen nur die zwei erwähnten Großbetriebe der Zigaretten- und Spirituosenproduktion sowie das Schachtbau-Unternehmen ohne größere Einbußen. Kleinere Betriebe der Holz-, Textil- und Lebensmittelindustrie können sich im tief greifenden Wandlungsprozess nicht behaupten, während sich für einige neu gegründete Unternehmen, z.B. der Fahrrad- und PKW-Ventilproduktion, neue Chancen eröffnen. Im Herbst 2002 endet auch die lange Tradition der Nordhäuser Tabakindustrie.

Bild: Im Jahr 1990 sind viele der neugegründeten DDR-Parteien im Gebäude Domstraße 12 vereint.

Die Stadt feiert im Jahr 2002 die 1075.

Wiederkehr ihrer urkundlichen Ersterwähnung


2004 ist Nordhausen Austragungsort der 2. Thüringer Landesgartenschau auf dem Petersberg in der Stadtmitte. Das Konzept der Schau macht es möglich, dass neben vielen anderen Projekten die gesamte Nordhäuser Innenstadt – vom Bahnhof bis hinauf zur Altstadt – praktisch zum zweiten Mal nach dem 2. Weltkrieg innerhalb kurzer Zeit erneuert werden kann und ein völlig verändertes, modernes Gesicht bekommt.

Dr. Peter Kuhlbrodt, Stadtarchiv
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