Nordhausen April 1945 Orte des Erinnerns

Kirche St. Blasii Altes Rathaus Grimmelallee Brücke der Einheit Kornmarkt Stadthaus Petersberg Hüterstraße Rautenstraße Förstemannstraße Hohekreuzstraße Hauptfriedhof Ehrenfriedhof Hallesche Straße Boelcke-Kaserne

Nordhausen April 1945 Orte des Erinnerns

Vor 77 Jahren war Nordhausen Ziel von zwei schweren Luftangriffen am 3. und 4. April 1945 durch die britische Royal Air Force. Die Luftangriffe zerstörten die Stadt schwer und kosteten tausenden Menschen das Leben, unter ihnen viele Häftlinge des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, die in der Stadt zur Zwangsarbeit eingesetzt und nahe der „Boelcke“-Kaserne untergebracht waren. Eine Woche später wurde die Stadt von Einheiten der US-Armee besetzt. Die Luftangriffe stehen damit in Nordhausen auch für das Ende des Zweiten Weltkrieges.
Panoramabild vom Petersberg auf das zerstörte Stadtzentrum (Foto: Stadtarchiv Nordhausen, Tino Trautmann)

Der folgende Wiederaufbau war in vielen Stadtteilen ein Neuaufbau, zu groß waren die Zerstörungen. Wie komplett sich das Stadtbild veränderte, zeigt allein ein Blick vom Turm der zerstörten St.-Petri-Kirche in Richtung Altstadt: Im Mai 1945 das Panorama einer zerstörten Stadt, im April 2022 ein Blick auf viele Neubauten mit nur noch wenigen historischen Gebäuden. Trotzdem lässt sich an vielen Stellen Nordhausens das historische Erbe der Luftangriffe noch sehen oder kann zumindest wieder sichtbar gemacht werden.

An 15 Beispielen, verortet auf einer historischen und aktuellen Karte der Stadt, sollen die Änderungen nach 1945 mit Hilfe historischer Abbildungen oder Dokumente und heutigen Aufnahmen verdeutlicht werden. Sie sind so ausgewählt, dass sie auf die verschiedenen Themen der Erinnerung an die Luftangriffe eingehen, die in Nordhausen bis heute teilweise auch kontrovers diskutiert werden. Dabei stützt sich die Seite auf vorliegende neue Erkenntnisse des städtischen Forschungsprojektes zu den Luftangriffen auf Nordhausen, welches 2019 begonnen wurde und in diesem Jahr seine Ergebnisse fertigstellen wird.

Näheres zu den Standorten

Boelcke-Kaserne

Ablagestelle geborgener Leichen aus der Boelcke-KaserneAuf dem Gelände an der Rothenburgstraße wurde 1936 eine Kasernenanlage errichtet, benannt nach dem Jagdflieger Oswald Boelcke. Bis Sommer 1944 war in den Kasernen die „Luftnachrichtenschule 1“ untergebracht. Ab 1943 wurden auf dem Kasernengelände mehrere Zwangsarbeitslager errichtet, ab Herbst 1944 wurde das Arrestgebäude der Kasernenanlage als Gestapo-Gefängnis benutzt und im Januar 1945 richtete die SS in zwei Garagenhallen ein Außenlager das KZ Mittelbau-Dora ein, welches als zentrales Sterbelager des KZ fungierte. Zum Zeitpunkt des ersten Luftangriffes am 3. April 1945 waren in den Lagern mehrere tausend Menschen interniert, ihre genaue Zahl ist unbekannt.mehr

Kirche St. Blasii

Trümmerkrippe in der St. Blasii-KircheWährend der Luftangriffe wurden alle Nordhäuser Kirchen beschädigt oder vollständig zerstört. Die heute größte evangelische Kirche der Stadt, St. Blasii, wurde erheblich beschädigt, ein zuvor ausgelagertes Cranach-Gemälde ist seither verschollen. Bis 1949 wurden die Schäden behoben, die Kirche wurde am 31. Oktober 1949 wiedereröffnet. mehr

Altes Rathaus

Rolandsfigur am alten RathausAn der Südwestecke des Alten Rathauses steht der Nordhäuser Roland, wichtiges Wahrzeichen der Stadt und Ausdruck ihrer fast 600jährigen Eigenständigkeit als Reichsstadt. Während das Alte Rathaus nach dem Luftangriff am 4. April 1945 ausbrannte, blieb die Rolandsfigur unversehrt. Die Nordhäuser Narrative über dieses „Wunder des Rolands“ im Jahr 1945 sind zweigeteilt. Zum einen berichten Zeitzeugen, das kleine Dach über dem Roland habe ihn geschützt, prinzipiell aber habe sich hier 1945 nur wiederholt, was für den „Bewahrer Nordhausens“ schon immer gelte: er übersteht wie in den vergangenen Jahrhunderten alle Unglücke, die Nordhausen erleiden muss. Der Nordhäuser Roland wurde so Symbol für eine Erzählung über die Luftangriffe, welche als „größte Katastrophe“ über den anderen Katastrophen der Stadt stehen und aus dieser Perspektive keiner historischen und politischen Einordnung mehr bedürfen. Als treuer Wächter der Stadt wurde er in den fünfziger Jahren zum „Aufbauhelfer Nr. 1“ umgedeutet. mehr

Hauptfriedhof

Hauptfriedhof, EhrenhofDie Bergungen der Toten der Luftangriffe begannen am 5. April 1945, erste Beerdigungen fanden ab dem 8. April 1945 statt. Hierfür standen nur begrenzt Kapazitäten zur Verfügung, denn auch der Hauptfriedhof erlitt durch die Luftangriffe erhebliche Schäden. Dies führte zu temporären „wilden Begräbnissen“ in der Stadt und zur Eröffnung eines neuen Grabfeldes am nordöstlichen Ende des Hauptfriedhofes. Diese ist auf der Luftbildaufnahme als freie Fläche am oberen linken Bildrand zu erkennen. Hier wurden in den ersten Wochen nach den Luftangriffen über 400 Menschen beerdigt, zum Teil in Sammelgräbern. Die neue Grabfläche wurde später dem danebenliegenden „Ehrenhof“ des Hauptfriedhofes angegliedert, auf dem sich vor allen Dingen die Gräber gefallener Wehrmachtssoldaten befinden. mehr

Ehrenfriedhof

EhrenfriedhofUnmittelbar nach der Bergung der Leichen auf dem Gelände der Boelcke-Kaserne ordnete die US-amerikanische Militäradministration die Einrichtung eines Sonderfriedhofs zur Beerdigung der Toten an. Die Beerdigung sollte nicht nur aus moralisch-ethischen Gründen schnell erfolgen, sondern auch um eine drohende Seuchengefahr einzudämmen. Deswegen wurde auf eine Identifizierung der Toten verzichtet, ihre Beerdigung erfolgte in 16 Massengräbern. Für die Durchführung der Bergung und Beerdigung wurden 600 Nordhäuser Männer zur Arbeit zwangsverpflichtet. In den Folgewochen wurden auf dem Friedhof weitere nach der Befreiung im KZ Mittelbau-Dora verstorbene Häftlinge und hier gefundene Leichen beerdigt. Ende 1945 wurde durch die sowjetische Militäradministration die Einrichtung einer zusätzlichen Grabstätte auf dem Friedhof für die Beerdigung von in Nordhausen und Umgebung ums Leben gekommene Menschen sowjetischer Staatsangehörigkeit angeordnet. Insgesamt mit weiteren Bestattungen in späteren Jahren befinden sich hier die Grablagen von über 2.500 getöteten KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern.mehr

Rautenstraße

Rautenstraße, gegenüber St. Jakob HausWie fast die gesamte Oberstadt wurde auch die in Nordhausen als „Flaniermeile“ beliebte Rautenstraße bei den Luftangriffen vollständig zerstört. Über die Art ihres Wiederaufbaus diskutierte man heftig. Die für Nordhausen zuständige Planungsgruppe um den Weimarer Architekten Hermann Henselmann wollte die Rautenstraße zu einer geradlinigen und großzügig bebauten Straße machen, die zu den neuen zentralen Plätzen der Stadt führt. Dem standen die begrenzten Baukapazitäten der Stadt und der Wille der Nordhäuser entgegen, hier wieder eine Geschäftsstraße zu beleben. Zunächst diente die Straße aber als Trasse der Trümmerbahn, welche den Schutt aus der Stadt brachte.mehr

Petersberg

PetersbergplatzDer dichtbebaute und höher gelegene Petersberg mit der St.-Petri Kirche wurde bei dem Luftangriff am 4. April 1945 fast vollständig zerstört. Hier kamen über 60 Menschen ums Leben. Im Pfarrhaus am Petersbergplatz 18 wurde der Pfarrer Johannes Lippert und seine beiden Töchter verschüttet. Nach Berichten von Zeitzeugen waren am Abend des 4. April 1945 noch Klopfzeichen aus dem Keller des Pfarrhauses zu hören, es konnte jedoch niemand lebend geborgen werden. Auf Grund der zunächst nicht genügend vorhandenen Grabplätze auf dem Hauptfriedhof wurde Lippert mit seinen Töchtern zunächst im Garten des Pfarrhauses beerdigt, 1946 folgte die Umbettung auf den Hauptfriedhof.mehr

Kornmarkt

Modehaus KramerAm Kornmarkt 15 befand sich das „Modehaus Kramer“. Es wurde bei den Luftangriffen im April 1945 vollständig zerstört, nur die Stahlträger des modernen Geschäftsbaus blieben erhalten. mehr

Grimmelallee

Werk Grimm & TriepelIn der Grimmelallee 2 befand sich das Fabrikgebäude der Firma Grimm & Triepel. Die Firma stellte Kautabakprodukte her, gemeinsam mit der Firma Hanewacker war sie lange Zeit der größte Arbeitgeber Nordhausens und bildete den Schwerpunkt der vielen Nordhäuser Tabakfabriken. Zu Kriegsbeginn wurden in diesen Fabriken verstärkt Zwangsarbeiter eingesetzt. Im Sommer 1941 mussten bei Hanewacker und Grimm & Triepel 330 jüdische Frauen aus Wien Zwangsarbeit leisten, 1942 wurden sie von hier aus nach Auschwitz deportiert. Gegen Ende des Krieges waren im Werk in der Grimmelallee mindestens 60 Zwangsarbeiter beschäftigt. Bei den Luftangriffen im April 1945 war ihnen der Zutritt zum Luftschutzkeller des Werkes untersagt, sie mussten sich selbst Schutz suchen. mehr

Förstemannstraße

KeglerheimNordhausen war auf schwere Luftangriffe nur ungenügend vorbereitet. Mit dem Ausbau der Luftschutzanlagen wurde erst spät begonnen, denn in den ersten Kriegsjahren rechnete man nicht mit Luftangriffen auf die Stadt, welche auch kein herausragendes Ziel für die alliierte Luftkriegsführung war. Vor den Luftangriffen im April 1945 gab es sechs öffentliche Luftschutzräume in der Stadt und zwei Luftschutzstollen. Hinzu kamen verschiedene „Deckungsgräben“ quer durch die Stadt.mehr

Hohekreuzstraße

Das historische Bild zeigt Ecke Töpferstraße/Stolberger Straße, der Demonstrationszug um 1950 enthielt einen Wagen des "Kommunale(n) Wirtschafts-Unternehmens" um 1950, der mit dem Modell Bedeutung und Stil des Wiederaufbaus der Hohekreuzstraße präsentierte. Aktuelles Bild: Hohekreuzstraße / Ecke Körnerstraße Nach den Luftangriffen im April 1945 war die Innenstadt Nordhausens zu fast 80 Prozent zerstört, von den gut 13.000 Wohnungen der Stadt war die Hälfte nicht mehr vorhanden, weitere 35 Prozent nur teilweise bewohnbar. Tausende Menschen waren obdachlos, die Schaffung neuen Wohnraums stand deswegen im Mittelpunkt des Wiederaufbauprogramms für Nordhausen. Das Viertel unterhalb des heutigen August-Bebel-Platzes bis zur Hohekreuzstraße bildete hierfür einen ersten Schwerpunkt. Hier wurden bis Ende der fünfziger Jahre neben der Wiederherstellung alter Gebäude neue Reihenhäuser gebaut, die bis heute die Blödau- und Hohekreuzstraße prägen. Insgesamt entstanden in diesem Viertel 600 neue Wohnungen. Anders als in der wieder dicht bebauten Blödaustraße wurde die Hohekreuzstraße aber nur einseitig bebaut, um nach Süden einen freien Blick zu ermöglichen.mehr

Hüterstraße

Dokument (Hüterstraße 27-31)Die Hüterstraße war eine mit kleinen Häusern dicht bebaute Straße unterhalb des Petrikirchplatzes, welche bei dem Luftangriff am 4. April 1945 vollständig zerstört wurde. Nach dem Krieg zugeschüttet, wurde das erhaltene Straßenpflaster Ende der neunziger Jahre teilweise wieder freigelegt und ist heute Teil der Anlagen der 2. Thüringer Landesgartenschau.mehr

Stadthaus

Kornmarkt/Rautenstraße (Blick auf Stadthaus)Das Gebäude Rautenstraße 1, Anfang des 20. Jahrhunderts als Stadthaus für die Stadtverordnetenversammlung, Verwaltung und die Städtische Sparkasse errichtet, wurde bei den Angriffen bis auf die Grundmauern zerstört. Nach dem Krieg in alter Form wiederaufgebaut, ist das Haus heute Teil der Stadtverwaltung mit dem Dienstsitz des Oberbürgermeisters der Stadt.mehr

Hallesche Straße

Hallesche Straße (ca. Nr. 76)Mit der Registrierung der Toten sowie der Suche und Bergung von verschütteten Personen wurde unmittelbar nach den Luftangriffen begonnen. Erhaltene Totenscheine sind auf den 5. April 1945 datiert, erste Registrierungstabellen der Toten entstanden bereits in der ersten Woche nach den Luftangriffen.
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Brücke der Einheit

SiechenbrückeAn der Stelle der Brücke der Einheit befand sich bis 1956 die Siechenbrücke, die bei den Luftangriffen leicht beschädigt wurde. Der Blick vom Nordende der Brücke die Sandstraße hinauf zeigt die starken baulichen Veränderungen in der heutigen Stadt. Die Trümmer der einst bestehenden dichten Bebauung wurden vollständig entfernt und die Straße mit sogenannten Altneubauten in den fünfziger Jahren neu bebaut. Viele Straßen in Nordhausen erhielten im Zuge des Wiederaufbaus diesen ersten Neubautyp der DDR, die Häuser wurden in den späten neunziger Jahren vielfach saniert. Sie prägen bis heute ganze Stadtteile in Nordhausen. mehr
Impressum

Konzept und Texte: Jens Schley und Saskia Zweck

Fotografien und Bildbearbeitung: Tino Trautmann

Die Texte beruhen auf Recherchen im Stadtarchiv Nordhausen, Kreisarchiv Nordhausen, Landesarchiv Thüringen und dem Bundesarchiv Berlin. Dank für die Mithilfe bei der Erstellung geht an Lutz Fischer, Michael Schütze und Dr. Wolfram G. Theilemann.

Erstellt im März 2022.

Die Realisierung dieser Projektseite wurde unterstützt durch großzügige Förderung der Logo Thüringer Staatskanzlei

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