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1075 Jahre Nordhausen: Festrede der Nordhäuser Oberbürgermeisterin

Montag, 13. Mai 2002, 19:30 Uhr
NORDHAUSEN (psv) Mit einem Festakt im Theater Nordhausen beginnen heute die Feiern zum 1075jährigen Jubiläum der Stadt. Hier die Festansprache der Nordhäuser Oberbürgermeisterin:

"Meine sehr geehrten Herren und Damen,

ein Stadtjubiläum gibt den willkommenen Anlass, Rückblick und Ausblick zu halten und den immer währenden Menschheitsfragen des woher kommen wir und wohin gehen wir an Hand der über 1075 jährigen Geschichte unserer Stadt auf die Spur zu kommen. Erst mit der Einordnung in der Geschichte werden wir in die Lage versetzt, unsere Gegenwart richtig zu verstehen und zu gestalten. Sie zu gestalten im Respekt vor den Leistungen unserer Vorfahren und in der Verantwortung gegenüber unseren Kinder und Enkeln. In einer Mischung aus Fakten und Geschichten der Menschen will ich versuchen, Vergessenes wieder aufzuspüren. Ich lade Sie ein mit mir ein paar Zeitsprünge zu wagen. Wir springen in das Jahr 1899. Da schreibt der zu Studienzwecken in Nordhausen weilende Prof. Köhnen: „Nordhausen hat im Südharz eine zentrale Lage, malerisch eingebettet zwischen Harz und Kyffhäuser. Es ist im ganzen eine modern anständige Stadt mit einigen älteren Resten, darunter bedeutenden Teilen der Stadtmauer, stellenweise zum Großstädtischen strebend. Die beiden Hauptkirchen, der Dom und die St. Blasiikirche, sind gothischen Stils. Dagegen ist das Rathaus ein guter, einfacher Renaissancebau von vornehmen Ernst.


Was Nordhausen an äußerem Schein teilweise abgeht, ersetzt es durch innerliche Tugenden. Gemeint ist nicht allein die seit 400 Jahren gewährte Kunst der Erzeugung eines weltberühmten Kornbranntweins, der besonders im hohen Alter, so etwa 100jährig, Milde und Kraft aufs schönste zu vereinigen weiß, sondern auch manche andere Handwerke und Fertigkeiten, welche die 28.000 Bürger mit wohllobenden Fleiße betreiben. Auch ist die Stadt nicht faul gewesen in der Hervorbringung bedeutender gebildeter Männer. Großstädtisch angehaucht erscheint Nordhausen besonders durch seine prächtige Promenadenanlage innerhalb der Stadt und durch ausgedehnte Waldparks mit anziehender Mannigfaltigkeit.“
Ich habe diesen Blick von außen an den Anfang unserer Zeitreise gestellt, weil er die eigentlichen Stärken unserer Stadt benennt:

- Die zentrale Lage in malerischer Umgebung,
- Ein selbstbewusstes offenes Bürgertum mit großem Gestaltungswillen und
- Einen hohen Bildungsanspruch.
Mit diesen Tugenden hat Nordhausen die vielen Um- und Abbrüche der bewegten Geschichte gemeistert und die Kraft zum Neuanfang gefunden. Vor diesem Hintergrund wollen wir nun den nächsten Zeitsprung wagen bis an die Wiege unserer Stadt.

Im 8. Jahrhundert legten die Franken am Südhang des Frauenbergs einen Königshof an. Später entstand hier ein Zisterziensternonnenkloster, dessen Reste heute Teile der Frauenberger Kirche sind.
Bereits 874 wird Nordhausen zum ersten Mal urkundlich erwähnt und 906 spricht eine Urkunde von der Anwesenheit des letzten karolingischen Königs Ludwig in Nordhausen. Aller erste Ansiedlungen gehen wahrscheinlich bis in die Jungsteinzeit zurück und befanden sich am Fuße des Petersberges. Funde deuten darauf hin, dass auf seiner Anhöhe an der Stelle des Petrikirchturmes eine germanische Kultstätte war. Wir müssen uns den Berg mit Eichenbäumen bepflanzt vorstellen und später am Südhang mit Weinstöcken und Nutzpflanzen.
Im Umfeld lagen Burgen, wie z. B. die Widdigsburg im Altendorf, die Merwigsburg am Geiersberg und die Burg des Sachsenherzogs Heinrich zwischen Finkenburg und Dom.
Doch warum wurde aus diesen frühen Burgen, Kastellen und Besiedlungen eine Stadt?
Aristoteles sagte: „Eine Stadt besteht aus möglichst unterschiedlichen Menschen. Ähnliche Menschen bringen keine Stadt zu Wege“. Die Vielfalt ist also der entscheidende Entwicklungsimpuls. Diese Vielfalt konnte sich durch die besondere geographische Lage Nordhausens entwickeln. So bildete sich unsere Stadt am Schnittpunkt uralter überregionaler Verkehrsverbindungen heraus unmittelbar an der fruchtbaren Goldenen Aue. Am 13. Mai 927 wird Nordhausen als Königspfalz das erste Mal schriftlich erwähnt am Fuße der ottonischen Burg und nahe des von der Königin Mathilde gegründeten Damenstiftes entstand eine Marktansiedlung ­ ideal gelegen entlang auf sicherer Höhe, hinter schützenden Mauern, direkt angebunden an die bedeutendste ­ heute würde man sagen ­ Europastraße der Frühzeit.
Wer schon einmal mit dem Auto die Alpen überquert hat, hörte oder sah vielleicht schon etwas von der sagenumwobenen Via mala und wusste nicht, dass es eine direkte Verbindung nach Nordhausen gab. Die alte Völkerstraße, die bei Brixen (Bricione) mit der Via mala die Alpen überquert nach Innsbruck, Garmisch Partenkirchen, bei Donauwörth die Donau überquert, bei Würzburg den Main, bei Schmalkalden und Gotha den Thüringer Wald überwindet, Richtung Bad Langensalza führt auf Nordhausen zu. Von Nordhausen aus ging sie über den Ammerberg nach Himmelgarten, Buchholz, Birkenmoor, Stiege, nach Quedlinburg und Magdeburg. So kreuzten sich die Wege vieler Menschen hier, manche verweilten auf Zeit, andere siedelten sich an, brachten viele neue Impulse mit, Kulturen vermischten und befruchteten sich. So konnte ich in der Himmelgartenbibliothek nachlesen, dass Mönche aus Florenz nach Nordhausen kamen und an der Idee zum Aufbau einer Bibliothek maßgeblichen Anteil hatten. Was mögen sie noch alles mitgebracht haben an Bräuchen und Gewohnheiten, was heute ­ wie selbstverständlich ­ Teil unserer Geschichte geworden ist.

Bald wurde aus der Marktansiedlung die Villa Regia. Im Jahre 1158 überließ Kaiser Friedrich Barbarossa seinen gesamten Besitz in Nordhausen dem von Mathilde gegründeten Damenstift. 1220 weilte Kaiser Friedrich II. in der Stadt und erließ für sie eine neue Verfassung. Diese Verfügung wurde in einer am 11. März 1223 in Italien ausgestellten Urkunde bestätigt. Nordhausen war nun eine freie und des Reiches statt und gewann rasch an Bedeutung. Doch bald erstürmten die Bürger die Reichsburg und vertrieben die königlichen Dienstleute.

Das 13. Jahrhundert war ein friedloses „Untreue lauerte im Hinterhalt und Gewalt fuhr auf der Straße daher“ so der Chronist.
Am 2. Februar 1266 finden wir die erste Erwähnung eines Nordhäuser Rates, der versuchte mit Gesetzen die Wirren zu ordnen.
In den folgenden Jahren emanzipierten sich die Patrizier Nordhausens zum universitas burgensias. Eine Ratsversammlung bildete die gesetzgebende Körperschaft und es entstand ein Rat als Verwaltungsbehörde. Das Schwergewicht hatte sich von den agrarwirtschaftlich eingestellten Rittern zu den geldwirtschaft-lichen orientierten Bürgern verschoben. Die Gewalt war von der königlichen Burg auf das bürgerliche Kauf- und Rathaus übergegangen. Damit sich auf dem Markt Handel und Wandel entwickelten und somit der Reichtum der Bürger vermehrt wurde, musste in erster Linie Frieden sein. Deshalb war es die vornehmste Aufgabe des Rates, den Marktfrieden zu gewähren.
Der wichtigste neue Grundsatz lautet: Die Märkte, die der Rat und die Handwerksmeister umgesetzt haben, müssen allen ­ arm und reich ­ zugute kommen.
Die Stadt wuchs und schloss sich im Jahre 1365 mit der Neustadt zusammen. Daran erinnert bis heute der Aar, eines der sieben Wahrzeichen unserer Stadt. Die Nordhäuser Burg war Tagungsort großer Reichsversammlungen und Synoden. Hier fanden kaiserliche Trauungen statt, Abgesandte des Patriarchen von Jerusalem, Ordensmeister der Johanniter, deutsche Könige und Kaiser waren hier zu Gast.
Sehr bald wirkte sich die Macht der Patrizier hemmend auf die Entwicklung der Stadt aus und so kam es am 13. Februar 1375 zur Nordhäuser Revolution. Die bürgerliche Opposition errang einen vollen Sieg über den alten Patrizischen Rat, der seine Macht nicht wieder erlangen konnte. Daran erinnert unser Roland, der seit dem vor dem Rathaus steht.
Nordhausen gehörte zu den wenigen Städten, in denen die Bürgeropposition einen vollen und dauerhaften Sieg erkämpfte. Es kam zur ersten „demokratischen Ratsverfassung“.
Wie viel unserer Gegenwart müssen wir für die Zukunft investieren? Auf die Frage suchten die Bürger von Anfang an nach positiven Antworten.
Als aufstrebende Stadt beschritt Nordhausen seit seiner Gründung eigenständige Wege auch gegen Widerstände von innen und außen. Dafür gibt es viele Beispiele bis in die Neuzeit.
Etwa 100 Jahre nach der Gründung der ersten Knabenschule genügte diese den Ansprüchen der Bürger nicht mehr. Sie beabsichtigten, eine besondere Stadtschule zu gründen, wurden jedoch vom Erzbischof von Mainz daran gehindert. So wandten sie sich in sehr ungewöhnlicher Weise direkt an den Papst, der ihnen in einem persönlichen Brief im Jahre 1319 antwortete. Zitat: „Ihr habt uns vorgestellt, in Eurer Stadt sei vor aller Zeit, als dieselbe noch kleiner und nicht so erfolgreich war, wie sie jetzt ist bei der Kirche zum Heiligen Kreuz eine Schule eingerichtet worden. Da aber Eure Stadt an Einwohnern und Häusern sowohl innerhalb der Stadtmauern als außerhalb derselben so sehr zugenommen hat, dass die Schüler in der Stadt die Schule, welche an dem äußersten Ende der Stadt liegt, wegen der Entfernung nicht wohl besuchen können, auch die Menge der Schüler von dem einen Schulmeister nicht gut geleitet werden kann, so genehmigen wir Eure Bitte, dass Ihr bei der Pfarrkirche St. Petri zur Mehrung der Geistlichkeit sowie zum bequemeren Unterricht eine andere Schule erbauen und für alle künftige Zeiten einen Schulmeister anstellen dürft.“ Zitat Ende.
Dass in den Jahren von 1502 ­ 1560 bereits 176 Nordhäuser Bürgersöhne in Wittenberg, in Prag und Erfurt an den Universitäten studierten, gab der Nordhäuser Entscheidung für eine eigene städtische Schule recht. Ein reges geistiges Leben, die frühzeitige Entwicklung bürgerschaftlicher städtischer Strukturen und ein weltoffener Geist waren die Auswirkungen dieser richtigen Zukunftsentscheidung und der Grund für die erste wirtschaftliche, kulturelle und geistige Blüte der Stadt zur Zeit der Reformation.
Der Nordhäuser Student Justus Jonas und enge Wegbegleiter Martin Luthers schloss sich bereits 1521 der Reformation an. 1522 wurde die erste evangelische Predigt in Nordhausen in der Petrikirche von Lorenz Süße gehalten. Am 18. Juli 1524 beschloss der Städtetag zu Speyer, an dem der Nordhäuser Bürgermeister Michael Meyenburg maßgeblich teilnahm, die Durchführung der Reformation. Nach dem Urteil Luthers hat sich keine Stadt dem Evangelium sobald unterworfen wie Nordhausen. Der eigentliche Reformator von Kirche und Schule unserer Heimatstadt und schließlich des gesamten Südharzes war Johannes Spangenberg. Die neue offene Geisteshaltung im Sinne der Renaissance lockte viele fremde Persönlichkeiten in unsere Stadt. Dazu gehören z. B. Michael Neander, Johannes Thal und Bassilius Faber. Die Wertschätzung der Naturwissenschaft fiel auch in Nordhausen auf fruchtbaren Boden. So kamen Physiker in die Stadt, Astrologen und noch wichtiger für Nordhausen, dass sich Ärzte in den Dienst der Stadt stellten. Dazu zählten Dr. Jonas Cornarius, der aus Basel kommend Erasmus von Rotterdam nahestand sowie der Erfurter Johannes Thal, der das erste Buch einer Floristik Deutschlands - die silva hercynia ­ schrieb.

Seit dieser Zeit wurde die Stadt durch ein starkes Bürgertum mit großen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Ambitionen geprägt. Die Stadt wuchs, doch die Zeit, in der unsere Vorfahren lebten, war keine Idylle, sondern mit Entbehrungen und Härten angefüllt, die wir heute kaum zu tragen bereit wären. Immer wieder führten Kriege Zerstörung herbei, Menschen wurden wegen ihres Glaubens verfolgt, Frauen als Hexen verbrannt, ebenso jüdische Mitbürger ausgegrenzt und in ihrer materiellen und physischen Existenz bedroht und ausgelöscht. In manchen Jahren raffte die Pest Tausende Einwohner dahin. So starb1626 innerhalb kürzester Zeit ein Drittel der Einwohner. Von zwölf Bürgermeistern erlagen zehn dieser schlimmen Seuche. Dennoch wuchs die Stadt weiter, die alte Stadtmauer wurde zu eng und Nordhausen weitere sich nach Süden aus.
Wir schauen jetzt ins 17. und 18. Jahrhundert, wo es unserer Stadt nur durch das enge Zusammenstehen mit den anderen beiden Reichsstädten Mühlhausen und Goslar gelang, selbständig zu bleiben. Das 1695 gebildete Schutzbündnis bestätigte die Privilegien der Reichsstädte. Dennoch wurde die Stadt in kriegerische Unruhen verwickelt. 1757 rückten die ersten französischen Soldaten ein. Fast 250.000 Goldtaler musste die Stadt aufbringen während der fünfjährigen Belagerungszeit.
Am 2. August 1802 verlor Nordhausen den Status als Reichsstadt. Die folgende Zugehörigkeit zum Königreich Westfalen, das de facto ein französischer Satelitenstaat war, brachte es mit sich , dass nun ein Municipalrat mit einem Monsieur le Maire an der Spitze die Stadt regierte. Ausgehend von den Einflüssen der französischen Revolution wurde in dieser Zeit ein gewaltiger Modernisierungs-prozess in Gang gesetzt. Verwaltung, Schulwesen, Gewerbe-freiheit und die staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden wurde festgeschrieben. Die Eingliederung in ein größeres Wirtschafts-gebiet, der Abbau hemmender Zollschranken und schließlich der Anschluss an das Eisenbahnnetz verliehen der örtlichen Wirtschaft und Politik starke Impulse. 1832 fanden die ersten Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung statt. 1882 bildete die Stadt einen eigenen Stadtkreis, ein Schritt, der in der Folgezeit mit einer raschen wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung und kultureller Blüte belohnt wurde. In den Gründerjahren setzte eine stürmische Industrialisierung ein, Korn und Priem entwickelten sich zu weltweit bekannten Markenprodukten. Dazu kamen 12 Tabakfabriken, 6 Maschinenfabriken, eine der ersten Tapetenfabriken in Deutschland, die Motoren- und Schachtbauindustrie. Die Inbetriebnahme einer modernen Wasserleitung, eines Krankenhauses, der Nordhausen-Wernigeröder Eisenbahn, der elektrischen Straßenbahn und der Talsperre bei Neustadt, eines Hallenbades, eines Stadions mit Radrennbahn und ein gut ausgebautes Schulwesen kennzeichneten den kommunalen Fortschritt. Doch dem gegenüber standen zunehmende soziale Polarisierung und Streiks. Beim großen Tabakarbeiterstreik des Jahres 1901 kämpften fast 1000 Tabakarbeiter über ein halbes Jahr lang für bessere Lebensbedingungen. Vielleicht können wir deshalb im selben Jahr die Anfänge des sozialen Wohnungsbaus verzeichnen. In die gleiche Zeit fällt die Gründung eines der ersten Kindergärten Preußens in Nordhausen mit der Gründung des Fröbel-Verbandes.
Das dunkelste Kapitel Nordhäuser Stadtgeschichte wurde zwischen 1933 bis 1945 geschrieben, insbesondere aber in den letzten Kriegsjahren von 1943 bis 1945 als durch die Verlagerung der Produktionsanlagen der sogenannten Wunderwaffe V1 und V2 von Peenemünde in das Lager Dora vor Nordhausen Tausende von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen in die Stadt kamen und viele von ihnen hier ihr Leben verloren.
Mit der Zerstörung am 3. und 4. April 1945 endete dieses schreckliche Kapitel unserer Geschichte. 8.800 Menschen wurden unter den Trümmern begraben. Zwei Drittel der Stadt wurden bei den Bombenangriffen zerstört. Damit war Nordhausen die am meisten zerstörte Stadt in Thüringen. Das alte Stadtzentrum mit den schönen Plätzen und Brunnen, dem Mühlgraben, den alten Kirchen, dem Rosenthalschen Haus, das Cafe Dietze und der gesamte Petersberg ­ alles war ausgelöscht. Die Stadt hatte ihre Urbanität verloren. Das Zentrum war zur „Nicht“-Stadt geworden.
Aus der zentralen Lage in Mitteldeutschland wurde eine Randlage. An der Grenze zwischen den beiden Militärblöcken wurde scharf geschossen. Wichtige Bezugspunkte lagen nun im westlichen Teil Deutschlands. Das liberale Bürgertum, das die Stadt bis dahin aus den Krisen und Umbrüchen geführt hatte, konnte und sollte in der DDR seine Kraft nicht wieder entfalten. Dennoch wurde eine große Aufbauleistung vollbracht.
Die Wohnungsnot und die vielen zugewanderten Neubürger erforderten einen raschen Wiederaufbau. Der gemeinsame Wille zum Neuanfang zeigte sich eindrücklich in der baldigen Wiederaufnahme des Spielbetriebes des Nordhäuser Theaters. Bereits am 18. 9. 1945 fand das erste Sinfoniekonzert in der Heinrich-Mittelschule statt. Und am 15. 10. 1949 wurde das Stadttheater mit der Aufführung „Die Hochzeit des Figaro“ wieder eröffnet. Das zeigt, welchen Stellenwert Kunst und Kultur in unserer Stadt hatten und auch in Zukunft haben werden. Ich will die Zeit der letzten 50 Jahre nur kurz streifen, denn viele von Ihnen haben sie selbst mit erlebt und mitgestaltet und sich längst ein eigenes Bild gemacht. Doch über allen persönlichen Wertungen steht das große Glück der längsten nun 57jährigen Friedensperiode für unsere Stadt. Seit der Wende versucht Nordhausen zu seinen alten Stärken zurückzufinden. Das ist ein langer Prozess. Die Freude über die neue Freiheit wurde überdeckt durch die Gefühlslage vieler Menschen, schon wieder ferngesteuert zu sein, doch diesmal aus dem Westen. Gleichwohl mussten und wollten sich die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt den neuen Herausforderungen stellen. Wir wurden zu einer großen Lerngemeinschaft. Vieles ist uns in den letzten Jahren gelungen. Der neue Glanz, in dem so viele Häuser erstrahlen, ist ein Beleg dafür. Besonders glücklich waren wir, als 1998 die neue Fachhochschule Nordhausen ihre Tore öffnete. Ist doch das Zusammenspiel von Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft und Kultur eine neue Chance für unsere gesamte Region.

Meine sehr geehrte Damen und Herren,
in knapp zwei Jahren öffnet die Landesgartenschau ihre Pforten. Derzeit hat sich unsere Stadt in eine große Baustelle verwandelt. Noch in diesem Jahr werden wir die Rautenstraße fertig stellen, den Rathausplatz umgestalten, die letzte Wohnscheibe wird eine neue Außenhaut bekommen, zwei neue Verkehrskreisel am Kornmarkt und in der Neustadtstraßen werden gebaut, die Tiefgarage Petersberg wird begonnen, das Schulzentrum auf dem Petersberg saniert, der Pferdemarkt neu beplant, der Darrweg fertiggestellt, die Zeppelinbrücke sowie der Ausbau der Uferstraße neu begonnen. Das sind Investitionen in die Zukunft, die in diesem Jahr uns allen viel Verständnis abverlangen und den Baubetrieben und der Verwaltung ein hohes Maß an Koordination. Am Ende dieser Umbauphase stehen neue Stadtbilder. Wir wissen, dass eine Stadt nur dann Heimat ist, wenn sie charakteristisch bleibt. Wir haben den Versuch unternommen, mit historischer Aufrichtigkeit das Stadtzentrum aus der Einförmigkeit zur einem unverwechselbaren bunten Bild zurückzuführen.
Nicht historische Unversehrtheit und nobler Glanz machen eine Stadt liebenswert, sondern Vielfalt pulsierendes Leben und das Erlebnis von Gemeinschaft. Dem wollen wir mehr Raum geben. Dazu sollen die neu gestalteten Wege und Plätze und Treppen, der Stadtrundgang, das Frauenberger Kloster, die Aussichtsplattformen, die kleinen Gärten und die großen Spiel- und Erlebnisflächen beitragen. Die Stadtmauer, vor deren Kulisse das Neue entsteht, soll dabei als Gedächtnisspeicher dienen. Die Stadt ist die kostbarste Erfindung der Zivilisation, die als Vermittlerin von Kultur nur hinter der Sprache zurücksteht (Zitat Brigitte Reimann „Franziska Linkerhand“). Sie ist selbst eine Gemeinschaftsleistung, an der alle in ihr Lebenden auf die eine oder die andere Weise beteiligt sind. Schließen Sie sich nicht der Ohne-mich-Bewegung an, sondern engagieren Sie sich mit uns für das Wohl unserer Stadt und für das Wohl aller, die hier leben.


Ich möchte schließen mit einem Gedicht von Bert Brecht von 1952:


Deutschland 1952

O Deutschland, wie bist du zerrissen
Und nicht mit dir allein!
In Kält' und Finsternissen
Läßt eins das andre sein.

Und hättst so schöne Auen
Und reger Städte viel;
Tätst du dir selbst vertrauen
Wär alles Kinderspiel.
Wenn ich ein Gedicht „Deutschland 2002" machen sollte, würde ich es so schreiben:

Deutschland 2002

O Deutschland, bist nicht mehr zerrissen
und nicht mit dir allein!
In Kält' und Finsternissen
Lässt keins das andere sein.

Und hast so schöne Auen
und reger Städte viel;
Tust du dir selbst vertrauen,
Ist alles Kinderspiel."
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