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Emotionsgeladener Abend im Theater: Stadt Nordhausen empfängt ehemalige Häftlinge

Dienstag, 12. April 2005, 11:34 Uhr
Nordhausen (psv) Es war der Chor des Humboldt-Gymnasiums, der die Herzen der mehr als 150 ehemaligen „Dora“-Häftlinge endgültig berührte. Als das Lied „Die Moorsoldaten“ einsetzt, erheben sich die ehemaligen Gefangenen von ihren Plätzen ? viele mit Tränen in den Augen. Diese gefühlvolle Geste dankten sie den Schülern ? mit minutenlangem Applaus.

Die Stadt Nordhausen hatte gestern Abend anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers „Mittelbau-Dora“ ehemalige Häftlinge und ihre Angehörigen zum Empfang in das Theater geladen. Wohl alle waren der Einladung gefolgt ? das Haus war voll besetzt. Das LOH-Orchester hatte gemeinsam mit der Nordhäuser Kantorei Frank Martins Oratorium „In terra pax“ aus dem Jahr 1944 aufgeführt.

Die Besucher ? unter Ihnen zahlreiche Stadträte - erlebten einen Abend voller Emotionen, und die ehemaligen Häftlinge waren ob der vielen kleinen und großen Gesten sichtlich aufgewühlt, die ihnen die Nordhäuser entgegenbrachten. Eine der wichtigsten Gesten für die Überlebenden an diesem Abend: Das Angebot zum Eintrag in das „Goldene Buch“ der Stadt Nordhausen ? mit Name und Häftlingsnummer.



Delphin Maillet ? ehemals Häftling Nummer 185985 ? trägt sich in das Goldene Buch der Stadt ein.

„Damals war es die Nummer der Schande ? heute ist es mein Ehrenzeichen. Damals als ich nach Hause kam, habe ich die Nummer abgerissen,. Heute würde ich sie nicht für viele tausend Euro hergeben“, sagte Albert van Hoey, Vorsitzender des Häftlingsbeirates der Gedenkstätte. „Der Stadt Nordhausen und ihren Bürgern danken wir, die Überlebenden des KZ Mittelbau-Dora und Kommandos, dass sie die Erinnerung an unsere hier ermordeten Kameraden wach halten. Möge die KZ Gedenkstätte auch in Zukunft ein unverzichtbarer Bestandteil im Leben dieser Stadt sein“, hatte er zuvor in das Goldene Buch geschrieben.

Am Fuß der Theater-Bühne, wo das Goldene Buch auslag, spürte man gestern Abend den Willen der Überlebenden, das nicht wieder zuzulassen, woran sich ihr Mithäftling Dick de Zeuuw am Montag-Morgen in der Gedenkstätte erinnerte: „In `Dora´ galt es namenlos zu leben“. Die Überlebenden und ihre Angehörigen waren zum Teil mit Zetteln zum Goldenen Buch gekommen, auf denen die Nummer festgehalten war ? andere hatten den linken Ärmel aufgekrempelt, wo die Nummer in den Unterarm tätowiert war. Sie warteten ungeduldig, bis sie an die Reihe kamen ? die Schlange zog sich bis zu den Eingangstüren zum Theatersaal. Am Ende sind es knapp einhundert Unterschriften.




„Solche Abende bleiben in unseren Herzen ? der Gipfel waren die `Moorsoldaten´“, sagte Albert van Hoey im Theater. „Wir danken der Stadt und ihren Menschen, wir danken für das wunderschöne Konzert ? es war sehr, sehr schön“ Und es gab noch eine weitere Geste des ehemaligen Häftlings an die Stadt: „Es ist traurig, dass wird in diesem Monat auch dem 3. und 4. April gedenken müssen, wo vor 60 Jahren so viele Menschen hier ihr Leben lassen mussten ? darunter viele unserer Kameraden in der Boelke-Kaserne.“ Van Hoey verwies auf die gewachsenen Beziehungen zwischen der Stadt Nordhausen und den Überlebenden und würdigte auch das Engagement des Nordhäuser Bürgermeisters Dr. Manfred Schröter und Oberbürgermeisterin Barbara Rinke. Er erinnere sich noch an die Ansprache von Frau Rinke in Antwerpen aus dem vergangenen Jahr anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung der Stadt von der deutschen Besatzung. „Es war eine sehr mutige Rede.“

Gestern Abend sagte die Oberbürgermeisterin „Paul Celan hat in seiner `Todesfuge´ den `Tod
als Meister aus Deutschland´ beschrieben. Hier in Nordhausen war seine Werkstatt, seine Todesfabrik. Ja, dies geschah in Nordhausen, in einer Stadt, die noch heute mit Stolz auf die Geschichte ihrer freiheitlichen Traditionen verweist. Dies zu sagen, fällt schwer, es ist das Eingeständnis, das schmerzt. Es ist unsere Schande nach 60 Jahren.“ Allerdings habe es in Nordhausen auch Menschen gegeben, die den Häftlingen Mitgefühl und versteckte Hilfe entgegen gebracht hätten.

Sie sagte weiter zu den Häftlingen: „Ich möchte Ihnen an dieser Stelle versichern ? im Namen aller, die in dieser Stadt Verantwortung tragen, im Namen der Mehrheit der Menschen, die in dieser Stadt leben: Ihre durchlebte Qual ist uns Mahnung“. „Das Leben und Sterben von Dora ist heute ? 60 Jahre, nachdem sich die Tore des Lagers öffneten - mitten in die Stadt zurückgekehrt. Es ist durch Sie zurückgekehrt. Es ist jetzt unter uns, weil Sie heute mitten unter uns sind. Dafür bin ich Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Zur Zeit läuft auch in Nordhausen eine Debatte: 60 Jahre danach ist die Zeit gekommen, wo die Angst zu reden geringer wird und der Wunsch, ein Zeugnis abzulegen, größer wird. Die Debatte läuft spät aber nicht zu spät. Sie läuft zu einer Zeit, wo die Zeitzeugen noch teilhaben können.“ Frau Rinke weiter: „Wir wissen auch, dass in Deutschland faschistische Parteien wieder hoffähig sind. Wir alle haben den Auftritt der NPD im sächsischen Landtag vor Augen. Warum suchen so viele Menschen die Zugehörigkeit zu Gruppen, wo sie sich den schrecklichen Vereinfachern unterordnen. Was sind wir ihnen schuldig geblieben? Was haben sie nicht erfahren von ihren Großeltern, Eltern und der Schule ? von der Gesellschaft?“ Ich verneige mich vor Ihnen und Ihren toten Kameraden, denn hier so viel Leid angetan wurde. Ich verneige mich aus Scham, dass es hier in dieser Stadt war, wo Ihnen dies angetan wurde. Ich verneige mich aus Dankbarkeit, dass Sie heute Abend den Weg in unsere Mitte gefunden haben und diesen Tag mit uns begehen, dass Sie Nordhausen die Hand ausgestreckt haben. Das macht uns froh. Wir wollen zu unserer Verantwortung stehen.“
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