„Reste mit Zukunft! Aus der Arbeit an Nachlässen im Nordhäuser Stadtarchiv“

Die Überlieferungsbilanz für schriftliche Nachlässe von Nordhäuser Persönlichkeiten im Stadtarchiv ist äußerst dünn. Das ist bedauerlich und erklärt sich keineswegs durch den Verlust vieler Privatsammlungen im Zuge der Zerstörung im April 1945, wie ihn die aktuelle Kabinettausstellung zum Gedenktag im April illustriert.

Der internationale Museumstag 2020 ist auch für das Stadtarchiv Anlass, darüber nachzudenken: „Reste mit Zukunft! Aus der Arbeit an Nachlässen im Nordhäuser Stadtarchiv“.



Die Tonne war eher da, als der Gedanke ans Archiv.
Schon zu dem Nestor der Nordhäuser Stadtgeschichtsschreibung E.G. Förstemann wird kolportiert, daß seine Manuskripte und Briefe nach seinem Tode 1859 zügig von den Erben verkauft oder entfremdet wurden – und damit für die Stadtgeschichte verloren worden seien. Ähnliches gilt für zahlreiche private Schriftgutnachlässe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die 1945 mit auf die Flucht oder Evakuierung gingen oder den in alle Welt verstreuten Erben - ohne persönlichen Bezug zur Stadt - bald als wertloses Altpapier erschienen. Sie gerieten in Vergessenheit und fallen z.T. noch heute der „Entsorgung“ anheim. So wurden auch die Vorstudien Walter Geigers zu seinem Band „Nordhausen im Bombervisier“ (2000) nach seinem Tode 2010 nicht etwa dem Stadtarchiv, sondern offenbar einem Entsorger überantwortet. Dieses Material fehlt heute für die von der Stadt beauftragte Forschungsstudie. Sogar reichhaltige Fotografennachlässe wie jene der Ludwig Belitski, Friedrich Rühle oder Marcus Habben konnten von solchen Schicksalen betroffen werden, wenn nicht rechtzeitig Vereinbarungen getroffen werden oder sich aufmerksame Geschäftsnachfolger finden.
Bei Schriftgutnachlässen – vom Poesiealbum über Kriegspostkarten bis zu Zeugnissen oder Lebenserinnerungen- kamen und kommen leider bis heute noch oft Verwertungsinteressen von Erben oder Privatsammlern der Bewahrungsalternative im städtischen Gedächtnisinstitut zuvor. Fotos, Schmalfilme oder Postkartenabbildungen zumal sind leichter und für ein breiteres Publikum nutzbringend zu erschließen, also auch zu verwerten. Dadurch verschwinden sie aber oft in Privatbesitz und gehen der Allgemeinheit verloren. Schriftgut in „kurrentem Deutsch“ oder „Sütterlin“ dagegen erscheint Erben und Nachlassverwaltern oft nur wertlos, weil nicht mehr lesbar zu sein. Doch dem ist nicht so!

Archivare können lesen, aufbewahren und stellen bereit!
Schriftgutnachlässe sind nicht Restmüll, sondern Zeitzeugen, die länger leben und Vergangenheit genauer dokumentieren, als Menschen. Zu treuen Händen mit Vertrag übernommenes Schriftgut wie z.B. Briefe, Fotoalben oder Schmalfilme sind für jedes Archiv das ‚Fleisch‘ zu massenhaft überlieferten ‚Knochen‘ der städtischen Akten. Privatnachlässe sind wertvoll, um in der Zukunft gelebtes Leben realer Menschen aus früherer Zeit, ihr Schaffen, ihre Empfindungen nachvollziehen zu können. Schriftgut von Großeltern, Eltern oder aus eigener Produktion, die ‚mit warmer Hand‘ als sogenannter Vorlass und testamentarisch in ein öffentliches Archiv gelangen, sind zuverlässiger sprechende Überreste, als schemenhafte Erinnerungen oder gar manch ein Jägerlatein derer, die ‚dabei gewesen‘ sind.
Darum verwahrt auch das Nordhäuser Stadtarchiv inzwischen über 20 Vor- und Nachlässe von Nordhäuser BürgerInnen wie Walter Treichel, Josef Tauchmann, Rainer Hellberg, Adolf Scheer, Traugott Kützing, Herbert Gerhardt oder des jüngst verstorbenen Reinhard Gündel. Hinzu kommen Nachlaßsplitter z.B. aus den Familien Seidel, Petri, Bosse, Baumgärtel oder Asche. Die Fotoauswahl zeigt, wie vielfältig und reichhaltig diese „Ego-Dokumente“ sein können. Das Stadtarchiv ist verantwortlich, dergleichen Daten einerseits angemessen zu schützen und andererseits nach Ablauf der vereinbarten Schutzfristen für Erhaltung und standardgemäße Erschließung für künftige Nutzer zu sorgen.

Zwei Stolbergs als ‚Eisbrecher‘
Unter den Nordhäuser Nachlässen stechen zwei Bestände hervor. Sie werden gerade gründlich neu verzeichnet und schutzverpackt. Damit soll auch dieser Sammlungsbereich schubweise und auf modernem Niveau ‚vom Eise‘ des Vergessens ‚befreit‘ werden. Es sind die Hinterlassenschaften von August und Friedrich Stolberg, Vater und Sohn.
August Stolberg, 1864 in Nordhausen geboren, entstammte einer „alteingesessenen“ Nordhäuser Familie. Mit einem unerschöpflichen Forscherdrang und immensen Schaffenskraft hinterließ er bis ins hohe Alter eine Fülle von Aufzeichnungen und Zeugnissen seiner Tätigkeit. Neben seiner Ausbildung zum Kunsthistoriker war er Fotograf, Meteorologe, Geologe, Geograph, Direktor der Nordhäuser Museen, Stadtarchivar, Ballonfahrer und Polarforscher. Bei letztgenannten Tätigkeiten gelangen ihm Pioniertaten wie der Erstüberflug der Zugspitze und Durchquerung und Vermessung des Inlandeises von Grönland.

Sein Sohn Friedrich Stolberg, geboren 1892 in Straßburg/Elsass, damals der Wirkungsbereich seines Vaters, stand ihm in Sachen Schriftgutüberlieferung in nichts nach. Friedrich wurde Architekt und hinterließ auch für Nordhausen einige Bauentwürfe. Sein Interessengebiet lag aber auf dem Gebiet der Höhlen und Burgenforschung. Hier tat er sich mit Erstvermessungen beispielweise der Heimkehle und Rübelandhöhlen hervor sowie der Erstellung eines Katalogs sämtlicher bekannter Befestigungsanlagen im Harzgebiet. Auch seine zeichnerische und poetische Ader schlug sich in seinem Nachlass nieder und bedarf noch der Auswertung. Beide Bestände zusammen umfassen bis jetzt u.a. 118 Notiz- und Tagebücher, 27 Fotoalben, 635 Fotografien auf Glasplatte oder Fotopositiv. Hinzu kommt eine noch nicht erfasste Menge an Fotonegativen auf Zelluloid, geschätzt im vierstelligen Bereich.

Wohin mit dem Papier?
Diese Frage stellt sich im Alter, beim Umzug oder den Erben immer wieder. Bücher und Wertgenstände lassen sich ja noch sinnvoll verkaufen, für privates Schriftgut aber auch des 20. Jahrhunderts sollte die Antwort lauten: Erst einmal dem Stadtarchiv anbieten! Der historische Wert von Großmutters Briefen, Onkels Schmalfilme oder Großvaters Fotoalbum sollte nicht erst am Rand der blauen Tonne und ohne Wissen, um was es darin denn tatsächlich geht, entschieden werden! Für Papiere, Fotos und Filme gibt es das Stadtarchiv und zum Schutz der persönlichen Daten einen Vertrag.
Wir verwenden Cookies um die Zugriffe auf unsere Website zu analysieren und geben hierzu Informationen zu Ihrer Nutzung unserer Website an Partner weiter. Mehr Informationen hierzu finden Sie im Impressum und der Datenschutzerklärung.